Die Debatte um die Knabenbeschneidung wird mehrheitlich sehr
unsachlich geführt, und es braucht nicht noch glatte Falschmeldungen, die die
Stimmung unnötigerweise zusätzlich anheizen!
Eine DPA-Meldung unter dem Titel «Rabbiner lehnt Kompromisse bei Beschneidungen ab» wird von vielen Medien in einigen Varianten grossflächig unkritisch übernommen (auf Google gibt es dazu mehr als 7000 Treffer).
Eine DPA-Meldung unter dem Titel «Rabbiner lehnt Kompromisse bei Beschneidungen ab» wird von vielen Medien in einigen Varianten grossflächig unkritisch übernommen (auf Google gibt es dazu mehr als 7000 Treffer).
Im Text selber steht: «Ein Rabbiner im oberfränkischen Hof [David Goldberg] will
trotz einer Strafanzeige gegen ihn auch weiterhin Jungen ohne Betäubung
beschneiden». In der nachfolgenden Meldung ist zu lesen: «Der 64-jährige
Rabbiner kündigte an, er werde trotz der Anzeige weiter Jungen ohne Betäubung
beschneiden.» Die DPA behauptet mit einem unvollständigen Zitat, der Rabbiner
und Mohel (Beschneider) David Goldberg lehne eine Betäubung bei der
Zirkumzision grundsätzlich ab. Damit wird dem Rabbiner bzw. dem Judentum eine
Gräueltat vorgeworfen.
In der Folge plädierte die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU)
überstürzt bereits entsprechend für eine angemessene Betäubung bei der
Beschneidung.
Hätten die voreiligen JournalistInnen, PolitikerInnen usw. aber etwas mehr Mühe
auf sich genommen, so wäre leicht herauszufinden gewesen, dass der Rabbiner auf
seiner Webseite ausdrücklich schreibt, dass er die Betäubung nicht
grundsätzlich ablehnt und er hauptsächlich medizinisch und nicht
religiös argumentiert. Ihm geht es um das Baby-Wohl:
«Findet die Beschneidung am 8. Tag statt, wird kein Betäubungsmittel injiziert. Betäubungsmittel die injiziert (gespritzt werden) tragen ein weit höheres Risiko als der Schmerz durch den Schnitt. Der Schmerz ist bei kleinen Babys minimal, weil das Schmerzempfinden noch nicht voll ausgebildet ist. Das Baby beruhigt sich nach ein paar Minuten wieder. Wenn die Eltern es wünschen, kann man ein Betäubungsmittel in Salbenform, als Tropfen bzw. als Zäpfchen (äußerliche Anwendung) verwenden. Normalweise führe ich die Brit Mila bei Kindern bis zu einem Alter von 6 Monaten alleine durch. Wenn es die Eltern aber wünschen, kann selbstverständlich gern ein Arzt für die Beschneidung hinzugezogen werden. Für das Baby ist es jedoch besser näher am 8. Tag beschnitten zu werden, da wie ober erwähnt das Schmerzempfinden nicht voll ausgeprägt ist.» http://www.beschneidung-mohel.de/ablauf_und_heilungsprozess.html
Man muss kein Experte sein, um zu merken, dass der Rabbiner aus medizinischen und nicht religiösen Gründen lediglich gegen das Injizieren von Betäubungsmittel ist und nicht prinzipiell gegen die Verwendung von Betäubungsmitteln als solchen ist. Seine Argumentation, die gespritzten Mittel können unter Umständen mehr Probleme und Schmerzen verursachen, leuchtet völlig ein (aus ähnlicher Überlegung muss mein "armer" Zahnarzt bei mir auf eine Betäubungsspritze verzichten).
Rabbiner Goldberg schreibt sogar: «Ist das Kind über 6 Monate alt, wird prinzipiell ein Arzt hinzugezogen der die Beschneidung aus medizinischer Sicht betreut und überwacht (Narkose/Betäubung etc.). Bei Kindern die älter als 6 Monate bis zu 10 Jahre alt sind, wird die Beschneidung unter Vollnarkose durchgeführt. Bei älteren Kinder und Erwachsenen wird eine lokale Betäubung durchgeführt.»
In einem Telefongespräch betonte der Rabbiner mir gegenüber erneut, dass seine Überlegungen rein medizinisch sind und die religiösen Regeln die Verwendung von Betäubungsmitteln gar nicht verbieten.
«Findet die Beschneidung am 8. Tag statt, wird kein Betäubungsmittel injiziert. Betäubungsmittel die injiziert (gespritzt werden) tragen ein weit höheres Risiko als der Schmerz durch den Schnitt. Der Schmerz ist bei kleinen Babys minimal, weil das Schmerzempfinden noch nicht voll ausgebildet ist. Das Baby beruhigt sich nach ein paar Minuten wieder. Wenn die Eltern es wünschen, kann man ein Betäubungsmittel in Salbenform, als Tropfen bzw. als Zäpfchen (äußerliche Anwendung) verwenden. Normalweise führe ich die Brit Mila bei Kindern bis zu einem Alter von 6 Monaten alleine durch. Wenn es die Eltern aber wünschen, kann selbstverständlich gern ein Arzt für die Beschneidung hinzugezogen werden. Für das Baby ist es jedoch besser näher am 8. Tag beschnitten zu werden, da wie ober erwähnt das Schmerzempfinden nicht voll ausgeprägt ist.» http://www.beschneidung-mohel.de/ablauf_und_heilungsprozess.html
Man muss kein Experte sein, um zu merken, dass der Rabbiner aus medizinischen und nicht religiösen Gründen lediglich gegen das Injizieren von Betäubungsmittel ist und nicht prinzipiell gegen die Verwendung von Betäubungsmitteln als solchen ist. Seine Argumentation, die gespritzten Mittel können unter Umständen mehr Probleme und Schmerzen verursachen, leuchtet völlig ein (aus ähnlicher Überlegung muss mein "armer" Zahnarzt bei mir auf eine Betäubungsspritze verzichten).
Rabbiner Goldberg schreibt sogar: «Ist das Kind über 6 Monate alt, wird prinzipiell ein Arzt hinzugezogen der die Beschneidung aus medizinischer Sicht betreut und überwacht (Narkose/Betäubung etc.). Bei Kindern die älter als 6 Monate bis zu 10 Jahre alt sind, wird die Beschneidung unter Vollnarkose durchgeführt. Bei älteren Kinder und Erwachsenen wird eine lokale Betäubung durchgeführt.»
In einem Telefongespräch betonte der Rabbiner mir gegenüber erneut, dass seine Überlegungen rein medizinisch sind und die religiösen Regeln die Verwendung von Betäubungsmitteln gar nicht verbieten.
Als säkularer Jude betrachte ich eine solche Verordnung zwar mit gewissem Befremden. Trotzdem, wirklich störend bzw. als Kindesmisshandlung empfinde ich sie nicht. Sie weist lediglich daraufhin, dass das Beschneidungsritual von Bedeutung sein soll, also ein tatsächliches Bündnis zwischen dem Säugling und Gott. Diese Überlegung überzeugt mich zwar nicht, auch wenn ich selber als Baby zum Glück völlig passiv mitmachte (ein Freund pinkelte den Mohel an), sie muss mich aber auch nicht für sich gewinnen.
Die Religions- und Glaubensfreiheit ist dort, und nur dort, einzuschränken, wo sie grobe und krasse Verletzungen von anderen Grundrechten verursacht. Betrachtet man die medizinische Debatte neutral (ich bin ja vor einigen Monaten Schweizer Bürger geworden), so muss bei der Knabenbeschneidung wieder festgestellt werden, dass die Medizin keine exakte Wissenschaft ist und Mediziner sich auch in diesem Thema nicht einig sind. Während auf der einen Seite die Zirkumzision als Teufelszeug bzw. Verstümmelung beschrieben wird, betrachten sie auf der andern Seite viele Experten als einen richtigen Segen und einen notwendigen Eingriff bzw. eine Verschönerung, dies, ohne die Risiken zu verschweigen, die aber als sehr klein eingestuft werden.
Auch wenn man durch die Argumentation der BefürworterInnen nicht überzeugt wird (mich überzeugt sie schon weitgehend), muss der bekannte juristische Grundsatz gelten: "Im Zweifel für den Angeklagten". Es müssen also ganz klare Beweise gegen die Zirkumzision vorliegen, diese Bedingung wird bis jetzt jedoch nicht erfüllt. Alle negativen medizinischen Studien zu diesem Thema, die ich gesehen habe, sind für meinen Geschmack zu stark ideologisch motiviert.
Eine Versachlichung der Debatte tut Not, und falsche Meldungen bzw. unsorgfältige Recherche ist das Letzte, was wir brauchen!
------
S.a.:
Zur scheinheiligen Ersatzdebatte über die Knaben-Beschneidun
Offener Brief an Prof. Gobet vom Kinderspital Zürich: Knabenbeschneidungs-Moratorium
Sehr geehrter Herr Elam,
ReplyDeletedas Wort "Falschmeldung" und der Vorwurf der Stimmungsmache in Ihrem Blogeintrag tragen leider auch nicht dazu bei, die Debatte zu versachlichen, so wie Sie es fordern.
Die dpa-Berichterstattung über Herrn Goldberg war weder falsch noch war sie darauf angelegt, die Stimmung anzuheizen.
Tatsache ist: Anders als Sie es darstellen, haben wir nicht davon geschrieben, dass Herr Goldberg die Betäubung bei einer Zirkumzision grundsätzlich oder aus religiösen Motiven heraus ablehnt. Wörtlich heißt es in der dpa-Berichterstattung: "Goldberg führt nach eigenen Angaben bis zu 30 Beschneidungen im Jahr an Kleinkindern durch und zieht auf Wunsch auch einen Arzt hinzu. Eine Betäubung der Kleinkinder lehnt er ab. Dies sei viel schädlicher, betonte er und fügte hinzu: 'Die Kinder schlafen nach dem Eingriff immer wenige Minuten später friedlich ein.'" Mit "viel schädlicher" sind dabei die Nebenwirkungen einer Narkose gemeint - und es wird damit klar, dass Herr Goldberg die Betäubung aus medizinischen Gründen ablehnt.
Dass er weiterhin auch ohne Betäubung beschneiden will, hat Herr Goldberg unserem Reporter übrigens selbst so gesagt. Wie Sie daraus den Vorwurf einer "Falschmeldung" herleiten, kann ich nicht nachvollziehen.
Disclosure: Ich leite die Unternehmenskommunikation bei der dpa
Sehr geehrter Herr Röwekamp
DeleteIhre Stellungnahme überrascht mich sehr. Ein Fehler kann zwar passieren (sollte gerade bei einem solche heiklen Thema jedoch nicht geschehen), den aber nicht einzusehen, sich nicht zu entschuldigen und den Fehler nicht zu korrigieren versuchen, sehe ich als sehr gravierendes Vergehen.
Es ist ganz klar, dass Rabbiner Goldberg Betäubung von Babys bei der Zirkumzision nicht total ablehnt. Er hält sie einfach für nicht nötig und ist (aus medizinischen Gründen) gegen das Injizieren von Schmerzmitteln. Er schreibt auf seiner Webseite aber eindeutig, dass auf Wunsch der Eltern betäubt werden kann. Und im Fall von Kleinkindern über 6 Monate muss sogar – gemäss Rabbiner Goldberg – betäubt bzw. unter Umständen eine Narkose eingesetzt werden.
Die DPA-Meldung läuft unter dem Titel «Rabbiner lehnt Kompromisse bei Beschneidungen ab», was komplett falsch ist. Und die Behauptung im DPA-Text, dass er die Betäubung der Kleinkinder ablehne, ist nicht ganz richtig. Jeder Leser wird indes – vor allem im Zusammenhang mit Ihrem Titel – zwangsläufig verstehen, dass der Rabbiner die Betäubung total ablehne.
Aber auch im Minimalfall, d.h. mit einer sehr entgegenkommenden Auslegung der DPA-Behauptung, «
eine Betäubung der Kleinkinder lehnt er [der Rabbiner] ab» also wie wenn hiermit nicht eine totale Ablehnung gemeint wäre – ist es so, wie der bekannte Österreicher Filmschauspieler und Filmemacher, Karl Markovics, die DPA-Meldung kurz und treffend kommentiert: «Ein Teil der Wahrheit – das ist Lüge».
In diesem Sinne muss auch gesagt werden, dass der Durchschnittsleser versteht, der Rabbiner lehne die Betäubung (ich wiederhole, wohl gemerkt durch eine Spritze) aus religiösen Gründen ab, auch wenn dies nicht ausdrücklich so zu lesen ist. Es hätte ja in der Meldung klarer zum Ausdruck kommen müssen, dass Goldbergs Widerstand auf medizinischen und nicht religiösen Gründen fusst.
Ich kann zwar nicht wissen, was der Rabbiner Ihrem Reporter sagte, sehr klar ist jedoch, was auf Herrn Goldbergs Webseite steht. Und es ist von einem professionellen Journalisten zu erwarten, dass er sich vor einem Interview mit der Materie vertraut macht. Dazu gehört heute sicherlich auch eine Internet-Recherche.
Ich sprach mit dem Rabbiner und später mit seiner Frau. Ihre Aussage war eindeutig, und insofern kann ich nicht verstehen, wie es zu dieser Falschmeldung – und es handelt sich in der Tat um eine solche – gekommen ist.
Übrigens weiss ich nicht, was Sie genau unter dem Wort Narkose verstehen. Es geht bei der Diskussion nicht um eine Vollnarkose, sondern um eine lokale Betäubung durch eine Spritze wie beim Zahnarzt, und diese Art von Betäubung lehnt der Rabbiner ab.
Freundliche Grüsse
Shraga Elam