Monday, July 23, 2012

Offener Brief an Prof. Gobet vom Kinderspital Zürich: Knabenbeschneidungs-Moratorium


Sehr geehrte Frau Gobet

Es ist völlig unverständlich, warum es überhaupt nötig sein soll, die Rechtslage der Knabenbeschneidung in der Schweiz noch zu klären, wie Sie dies im Namen des Kinderspitals Zürich propagieren. Denn gerade letztes Jahr beschloss das Parlament nach langen Überlegungen und Prüfungen, und mit nur einer Gegenstimme, dass die Beschneidung von Knaben deren Sexualität nicht beeinträchtige und keine Verstümmelung im Sinne körperlicher Verletzung darstelle. Das damals verabschiedete Gesetz nur gegen Mädchenbeschneidung trat just am 1. Juli d.J. in Kraft. Entsprechend ist demnach keine zusätzliche juristische Abklärung notwendig!
Man mag mit diesem parlamentarischen Entscheid zwar nicht einverstanden sein und Wege suchen, diesen zu ändern. Dass aber bei der jetzigen Lage eine Knabenbeschneidung in der Schweiz keine strafbare Handlung darstellt, sollte auch nicht-Rechtsgelehrten sonnenklar sein.
Wenn ich Ihre Position im Beobachter-Artikel vom 17. Feb 2011 betrachte, so werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie –und nicht nur Sie – eigentlich eine Art ideologische Kampagne gegen die Knabenbeschneidung führen, die nicht medizinisch motiviert und begründet sein kann.
Zusammenfassend werden Sie dort mit der folgenden Aussage zitiert:
Der Mann brauche unbedingt die Vorhaut, um die Eichel zu schützen und deshalb herrsche in der Schweiz unter Medizinern die Meinung, dass deren Entfernung praktisch mit allen Mitteln möglichst zu vermeiden sei.
Gleichzeitig widersprechen Sie sich und weisen selber darauf hin, dass die Beschneidung eine hygienischere Lösung als die Kortisoncreme für das sehr verbreitete Problem von Vorhautverengungen oder Phimosen sei. Es wird von Ihnen auch offensichtlich festgehalten: «Studien wiesen auf ein vermindertes Risiko für Gebärmutterhalskrebs hin bei Frauen, die mit beschnittenen Männern schlafen. Auch die HIV-Übertragungsrate soll tiefer sein.»
Nun bin ich kein Mediziner, sondern nur ein (erfahrener und preisgekrönter) Recherchierjournalist, mir sind aber keine besonderen Nachteile und Gefahren bekannt, die beschnittene Männer (ich bin auch so einer und mit 65 Jahren nicht der jüngste) konfrontieren. Normalerweise ist der Penis ja durch die Bekleidung recht gut geschützt, und diese Meinung teilen offensichtlich auch die parlamentarischen Experten sowie die Parlamentarier.
Als antiklerikaler Jude halte ich persönlich nicht viel von religiösen Ritualen, ausser einem ethnologischen Interesse (ich studierte Ethnologie). Die Knabenbeschneidung als solche gehört für mich jedoch klar zu den vernünftigen Gebräuchen, die der jüdischen Tradition entstammen, auch wenn für meine Glaubenswelt ihre religiöse Bedeutung keine Rolle spielt. Als Demokrat dagegen halte ich sehr fest an der Glaubens- und Religionsfreiheit, und es müsste schon ganz triftige Gründe geben, um sie einzuschränken. Sie, sehr geehrte Frau Gobet, erbringen indes keine solchen Beweise.
Hingegen ist die Verwendung von Kortison, die Sie empfehlen – vor allem beim Babys – bestimmt sehr fragwürdig und absolut als Eingriff auf das Gesamtsystem zu taxieren.
Sie sagten dem Beobachter: «Alle Jungen kommen mit einer Phimose zur Welt. Es ist ganz normal, dass sich die Vorhaut in den ersten Lebensjahren nicht zurückziehen lässt
Dies bedeutet also, dass eine Behandlung unter Umständen ein Jahr, wenn nicht länger, andauern kann, und dabei muss ein Kleinkind unnötigerweise leiden.
Sie sagen selber, dass die Vorhaut bis Minimum zum Alter von vier Jahren und manchmal bis ins Schulalter (!) mit dem Penis verklebt bleibt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum die Verwendung von (mit Nebenwirkungen verbundenem) Kortison einem so kleinen operativen Eingriff vorzuziehen ist. Ein befreundeter jüdischer Arzt, Dr. David Bollag, bestätigte meinen persönlichen Eindruck bei solchen Zeremonien, dass für die Babys die Beschneidung nicht sehr schmerzhaft ist (sie werden ohnehin vorher betäubt). Herr Bollag schrieb:
«Ich habe bei der Brith Milah [religiöse jüdische Beschneidung - se] eines Verwandten speziell gut aufgepasst. Der kleine Junge hat nur geschrien, weil man ihn geweckt hat. Auf den eigentlichen Schnitt hat er NICHT reagiert
Als säkularem Mensch wäre mir es lieber, wenn weitere Teile der Schulmedizin in der Schweiz ihren irrationalen ideologisch motivierten Widerstand gegen die Beschneidung aufgeben würden. Dies hätte zur Folge, dass dieser kleine Eingriff noch sicherer und besser ausgeführt werden könnte. Heute verfügen die religiösen Beschneider über viel mehr Erfahrung und Kenntnisse als die normalen Spitalärzte! So werden nicht-religiöse Menschen praktisch dazu gezwungen, religiöse Einrichtungen zu benutzen, wenn sie ihre Kinder vernünftigerweise beschneiden lassen wollen. Vorausgesetzt selbstverständlich, dass sie Muslime oder Juden sind. Denn Menschen mit anderem Glauben können solche Einrichtungen nicht benutzen.
Es scheint, dass unter vielen christlichen Ärzten eine ideologische Abneigung, ja richtiger Widerstand gegen diese altbewährte sinnvolle Methode herrscht, und sie sollten sich fragen, warum dies so ist...

Es grüsst Sie freundlich

Shraga Elam
Zürich





1 comment:

  1. Die Debatte im Parlament war weder lange und geprüft wurde keineswegs eingehend. Eine Zusammenstellung aus den Dokumenten finden sie hier: http://www.frei-denken.ch/de/2012/07/diskussion-der-knabenbeschneidung-in-der-schweiz-2009/

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