Sunday, October 23, 2011

Miserabler Arte-Bericht über Israels Eisenbahn

Muss eine Deutsche unbedingt über Auschwitz nach Israel reisen?

Es ist hin und wieder schwer nachvollziehbar, warum Arte den Ruf geniesst, Qualitätsfernsehen zu betreiben.
Der Beitrag "Mit dem Zug durch Israel" vom 21.10.2011 übertrifft in seiner Peinlichkeit sogar manche Sendungen des Privat-TV. Hier wird dem billigen Journalismus ein noch schlechterer Name gemacht: http://videos.arte.tv/de/videos/mit_dem_zug_durch_-4205850.html.

Es ist nicht nur so, dass der Dokumentarfilm herzlich wenig mit der israelischen Eisenbahn zu tun hat, sondern er strotzt vor seltsamen Feststellungen und zeugt von einer oberflächlichen Recherche sowie einem unlogischen Aufbau.
Die deutsche Filmautorin Grit Merten vom SWR-Eisenbahn-Romantik-Team, dessen Werke ansonsten sehr professionell sind und mir immer grosse Freude bereiten, geht diesmal auf nostalgische philo-israelische Sühnesuche nach einer bedeutungsschwangeren alten deutschen Rangierlokomotive, die Israel in den späteren 50er-Jahren im Rahmen der sogenannten Wiedergutmachung geschenkt worden war.

Deutz-Diesellok im israelischen Bahnmuseum, Haifa

Anstatt direkt ins Bahnmuseum in Haifa zu fahren (zu Angaben und Foto der Lok gelangt man mühelos via Wikipedia-Eintrag der israelischen Bahnbetriebe bzw. über die Museum-Website), reist die Dokumentarfilmerin zuerst ans Tote Meer und zur Klagemauer in Jerusalem. Dort kann man allerlei schon tausendfach Gefilmtes entdecken, bestimmt aber keine alte Lokomotive.
Den unschlagbaren Höhepunkt erreicht der Film mit der Behauptung des interviewten israelischen Historikers Jakob Eisler, dass in den 50er-Jahren nicht in die israelische Bahn investiert worden sei, weil Shoa-Überlebende damals angeblich dagegen gewesen wären: Sie  hätten Mühe mit der Eisenbahn gehabt, da diese schreckliche Erinnerungen hervorrufe.
Ich bezweifle nicht, dass Züge, und im Speziellen Güterwagen, bei manchen stark traumatisierten Überlebenden auch tatsächlich lange Zeit grausame Assoziationen weckten.  Dass aber gerade die - vor allem in den 50er Jahren - in Israel oft verachteten Überlebenden je einen grossen Einfluss auf die dortige Politik und gesellschaftliche Werte hatten, ist jedoch absolut realitätsfremd. Die abenteuerliche Behauptung des Geschichtlers gefiel der schuldwilligen Deutschen aber so gut, dass sie sie in ihrem Film - ohne unterstützende Recherche - gleich noch zwei weitere Male wiederholen liess.  
Da mein Vater, der, im Unterschied zu seinen Eltern und anderen Verwandten, Deutschland noch rechtzeitig verlassen hatte, im Beschaffungswesen des israelischen Bahnbetriebs arbeitete, war ich schon als Kind in den 50er-Jahren bahnbegeistert. Ich mag mich an überfüllte Züge auf den wenigen Strecken erinnern, und dass jede Fahrt ein Erlebnis war und zum Teil immer noch ist. Von einem Mangel an Kundeninteresse kann also keine Rede sein. Besonders präsent ist mir eine lange Schulreise mit dem Zug von Haifa nach Jerusalem. Obwohl mehr als die Hälfte meiner Kameraden Kinder von Überlebenden waren, wurde keinem der mehrtägige Ausflug verboten. Und unsere Lehrerin träumte davon, dass wenn der Staat zehn Jahre alt sei, es 1958 vielleicht sogar einen Zug nach Eilat im Süden geben werde.
Ich weiss aus eigener Erinnerung, und die Suche im Internet bestätigt es, dass die gängige Erklärung für die langjährige Vernachlässigung der Bahn eine ganz andere ist als die dem Fernsehpublikum vorgegaukelte: Vordergründig wurde die Verkehrspolitik durch vermeintliche militärische Überlegungen geprägt. Es wurde argumentiert, dass bei der prekären Lage Israels Bahnlinien für Angriffe zu starr und exponiert seien und viel weniger Flexibilität als Busse und Lastwagen böten. Es war jedoch offensichtlich, dass die Busgesellschaften über eine unglaublich starke Lobby verfügten und sie deshalb die Prioritäten zu Ungunsten des Schienenverkehrs weitgehend diktieren konnten.
Die peinliche leichte Bereitschaft der deutschen Filmemacherin, die unfundierte Aussage des israelischen Historikers - ohne diese überhaupt in Zweifel zu ziehen und zu überprüfen - zu glauben, ist sehr bezeichnend und zeigt einmal mehr, wie falsch und schlecht die Verarbeitung des NS-Judeozids oft noch läuft.
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Wie ein kritischer Beitrag über die Bahngeschichte Israels aussehen könnte, zeigt der israelische Filmemacher Tsur Shezaf. Sein fröhlicher und humorvoller Streifen ist zwar mehrheitlich in Hebräisch (mit einigen wenigen englischen Passagen), die bewegten Bilder könnten jedoch das Auge eines jeden internationalen Bahnfans erfreuen: "Journeyalong the Rails"


3 comments:

  1. Lieber Shraga,

    fein geschrieben, gut gekontert, nur auf die Eisenbahn nach Eilat warten wir leider immer noch. Kann ja noch werden ...
    herzlichst aus Heidelberg, Johannes Heil

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