Friday, September 30, 2011

Geschichtsfälschung im Dienst der Islamophobie


 Gab es NS-Pläne zur Vernichtung der Juden in Palästina während des Zweiten Weltkriegs?

Von Shraga Elam

Inamo Heft 53 2. April 2008

2006 gelang zwei deutschen Historikern eine Enthüllung, die ein weltweites Echo auslöste. Sie behaupteten, Dokumente entdeckt zu haben, die belegen, dass die SS 1942 die Vernichtung der Juden in Palästina geplant habe. Dabei soll ein SS-Team, das Einsatzkommando Ägypten, auf die tatkräftige Mithilfe von arabischen Kollaborateuren für den geplanten Massenmord gezählt haben. Unbestritten ist, dass im Juli 1942 eine 24-köpfige SS-Einheit in Athen stationiert wurde, deren genauere Aufgabe in Palästina und Ägypten alles andere als klar ist. Laut Aussagen der Forscher Klaus Michael-Mallmann und Martin Cüppers habe nur die Niederlage der Wehrmacht bei der Schlacht von El-Alamein im Oktober 1942 die jüdische Gemeinde in Palästina gerettet. Die geplante Massenvernichtung sollte mit Hilfe der Palästinenser durchgeführt werden. Shraga Elam verweist diese „großartige Enthüllung“ ins Reich der wilden Spekulation und Fantasie.
Klaus Michael-Mallmann und Martin Cüppers, die Autoren von Halbmond und Hakenkreuz [1] schreiben: »Aufgrund der Kommunikation zwischen SS und Wehrmachtsführung wurde in der entscheidenden Passage der Einsatzrichtlinien festgehalten: "Mit Zustimmung des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei wird der Einsatz des SS-Kommandos bei der Panzer Armee Afrika folgendermaßen geregelt: 1) Das SS-Einsatzkdo. erhält seine fachlichen Weisungen vom Chef des S.P. [der Sicherheitspolizei] und S.D. und führt seine Aufgaben in eigener Verantwortlichkeit durch. Es ist berechtigt, im Rahmen seines Auftrages in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen."(S.137 f) «

Diese Exekutivmaßnahmen werden nicht näher erläutert, und die zwei Historiker entwickeln  eine eher waghalsige Interpretation, die jedoch von den Medien als praktisch erwiesen rezipiert wurde.
Die Autoren behaupten:  »Die gesamte Vereinbarung entsprach inhaltlich jenem Text, der seit dem Vorjahr die Grundlage für den Massenmord der Einsatzgruppen in der Sowjetunion bildete. Zentrale Passagen waren, weil sie sich offenbar in der Praxis 'bewährt' hatten, einfach wortwörtlich übernommen worden.[2]«

Den spekulativen Charakter dieser Auslegung zeigt schon die Tatsache, dass der Chef dieses  Einsatzkommandos, SS-Obersturmbannführer Walther Rauff und sein Stab noch vor der deutschen Niederlage in El-Alamein den Auftrag in Ägypten und angeblich Palästina aufgeben mussten. Ein paar Monate darauf zogen sie nach Tunesien, wo sie zwar Juden verfolgten, diese jedoch nicht vernichteten. Das heißt, die erwähnten Exekutivmaßnahmen in einem von den Nazis besetzen Land bedeuteten nicht zwangsläufig einen Massenmord an den Juden.

Der israelische Historiker Haim Saadon, Direktor des Zentrums für Dokumentation und Erforschung der nordafrikanischen Juden während des Zweiten Weltkriegs, erklärt, dass für ihn nicht ersichtlich sei, was Rauff mit den Juden vorhatte, die unter NS-Kontrolle in Tunesien waren. Es liegt zuwenig schriftliches Material vor, um zu dieser Frage ein eindeutiges Ergebnis zu erlangen. Saadon, der das Thema mit internationaler Unterstützung  erforscht, weist darauf hin, dass die Nazis damals in Nordafrika schwerwiegende logistische Probleme hatten, was die Deportation nach Auschwitz praktisch ausgeschlossen habe. In Tunesien gab es weder die Vernichtungsinfrastruktur, noch sind Belege dafür vorhanden, dass es einen Vernichtungsplan gegeben habe, meint der israelische Historiker weiter, geschweige denn, dass ein solcher umgesetzt worden wäre. Das gleiche gelte für Libyen, so Saadon[3].

Es ist bekannt, dass Rauffs Stab, der Juden in Arbeitslagern gefangen hielt, in Tunesien um 200 SS-Männer verstärkt wurde. Durch die Beraubung und Erpressung der Juden entstand auch ein richtiger Goldschatz, dessen Verbleib jedoch bis heute unklar und ein Ziel für Schatzsucher ist[4].

Nicht nur die von den Deutschen verlorene Schlacht von El-Alamein verhinderte den SS-Einsatz in Palästina. Gemäß einem Verhörprotokoll vom 22.11.1945 sagte Rauff aus, er hätte Generalfeldmarschall Erwin Rommel in Tobruk (Libyen) persönlich getroffen, und dies vor der Schlacht in El-Alamein; er sei dann aber auf Rommels Ablehnung gegen seine Nahost-Mission gestoßen.

»Jul[i] [19]42 wurde die Quelle [Rauff] zum Chef des SS-Einsatzkommandos Afrika ernannt, sein Stab konnte jedoch nicht weiter als nach ATHEN gehen, und die Quelle flog nach TOBRUK für ein persönliches Gespräch mit Rommel. Es wurde beschlossen, dass die Ankunft des SD-Einsatzkommandos zu lange verzögert worden war, um von Nutzen zu sein, und die Quelle kehrte mit seinem Stab nach Berlin zurück. Im Nov[ember] [19]42 ging die Quelle mit einem etwas reduzierten SD Einsatzkommando nach TUNESIEN. [5]«

Rauffs seltsame und unklare Aussage, dass die Ankunft seines Einsatzkommandos zu lange verzögert worden sei, um nützlich zu sein, scheint seine Formulierung des Offensichtlichen zu sein, nämlich dass Rommel schon im Juli 1942 wusste, dass er Ägypten und Palästina nicht erobern konnte. Es könnte durchaus sein, dass Rauff damit Rommels Widerstand gegen den SS-Einsatz im Nahen Osten zu verheimlichen versuchte.
Die Zusammenkunft mit Rommel bestätigte Rauff bei einer gerichtlichen Aussage von 1972 nochmals: »Ich möchte noch klarstellen, dass ich bei Rommel nur kurze Zeit gewesen bin und schon vor der Schlacht bei El Alamein nach Berlin zurückkehrte.[6]«

Mallmann und Cüpers schreiben über Rauffs Besuch, dass »am 20. Juli, …SS-Obersturmbannführer Walther Rauff nach Tobruk [flog], um "von Generalfeldmarschall Rommel die notwendigen Instruktionen für den Einsatz" seines Kommandos zu empfangen.[7]« Die deutschen Historiker leiten daraus ab, dass »die Verwendung der [SS-]Einheit … damit unmittelbar bevor [gestanden habe].[8]«

Klaus Michael-Mallmann und Martin Cüppers behaupten – gegen Rauffs eigene Aussage –, dass es »höchstwahrscheinlich« nicht zu einem persönlichen Treffen mit dem Oberbefehlshaber des Deutschen Afrika-Korps gekommen sei, weil Rommel »seine Truppen fast 500 Kilometer östlich von Tobruk gerade in die entscheidende Endphase der ersten Schlacht von El Alamein [führte]; dabei wird jeglicher Transportraum viel dringender für den Nachschub als für die weitere Heranführung des Obersturmbannführers benötigt worden sein.[9]«

Dieser Schluss ist nicht zwingend. Erstens ist nicht bekannt, wo genau Rommel sich befand und zweitens wäre, wenn Rauff schon per Flugzeug nach Tobruk kommen konnte, ein Landfahrzeug mit einer Begleitung noch weniger problematisch zu organisieren gewesen.
Das Negieren des Treffens von Rauff mit Rommel ist offensichtlich wichtig für Mallmann und Cüppers, weil sie die Zuverlässigkeit eines CIA-Dokuments über eine solche Begegnung stark in Zweifel ziehen, obwohl sie nicht einmal aus dem Original zitieren. Darin heißt es jedoch: »Im Mai oder Juni 1942  flog dieser RAUFF zu General ROMMELs Hauptquartier, um mit ihm die Vernichtung der Juden in Kairo, nach der Eroberung der Stadt durch die deutschen Einheiten, zu diskutieren. Rommel war angewidert und schickte ihn nach Hause.[10]«

Dieses Dokument beinhaltet einige Ungenauigkeiten. So wird Rauff beispielsweise als Pole bezeichnet, und das diskutierte Treffen auf Mai oder Juni, und nicht Juli 1942 festgelegt. Trotzdem stellt sich die Frage, wozu und wie der Informant des US-Botschafters, der als Quelle angegeben wird, eine solche Begegnung erfunden haben sollte.

Eigentlich bestärkt das US-Memo Malmann und Cüppers in ihrer Theorie, die SS habe die Juden in Palästina und Ägypten vernichten wollen. Nur, anders als in ihrem Buch zu lesen ist, bestand – gemäss diesem CIA-Papier – noch vor der Schlacht bei El-Alamein keine unmittelbare Gefahr für die Juden in Palästina, da Rommel dagegen gewesen sei, diese zu töten.

Es könnte sein, dass die Judenvernichtung für Rommel zu weit ging. Logischer ist jedoch, dass Rauff aus praktischen Gründen zurückgewiesen worden war. Nämlich, weil es keine Chance mehr gab, Ägypten und Palästina zu erobern.

Es ist überhaupt nicht klar woher die Idee eines vermeintlichen Einsatzes Rauffs in Palästina kommt. Mallmann und Cüppers schreiben: » Am späten Vormittag des l. Juli 1942 referierte Schellenberg bei Himmler über „Einsatz in Ägypten".« (S. 137). Auch Rauff sprach nur von Ägypten und sein Stab hiess auch „Einsatzkommando Ägypten“.

Die zwei Historiker geben einen einzigen Hinweis auf einem Dokument, welches die angebliche Palästina-Mission belegen soll:
»Die Truppe des RSHA, die am 29. Juli nach Athen über­führt wurde und aus sieben SS-Führern und 17 Unterführern und Mannschaften bestand, sollte zunächst in Ägypten und nach dessen vollständiger Eroberung im angrenzenden Palästina zum Einsatz kommen und dort zweifellos in erster Linie gegen Juden aktiv werden.9« (S. 138-139)

Diese Behauptung wird lediglich mit einem Referenz zum folgenden Papier im Berliner Bundesarchiv belegt: Dt.Gen.b.HQu.It.Wehrm. an OKW/WFSt/Qu.I v. 14.9.1942, BAB, NS 19/3695.

In diesem Dokument vom 14.9.1942 kommt aber das Wort Palästina gar nicht vor. Hingegen wird dort der Wehrmacht Widerstand zur Rauffs Mission ganz klar und deutlich formuliert, was die Historiker völlig verschweigen.

Gegen die Vernichtungsabsichten spricht Rauffs eigene offizielle Aussage von 1972 im für ihn sicheren Chile. Er gesteht, dass Juden in Russland vergast oder auf andere Weise ermordet wurden. Da Rauff nicht einmal seine eigene Beteiligung bei der Vergasung von Juden in Lastwagen verleugnet[11], scheint sein Dementi, dass solche Befehle für Afrika bestanden haben, glaubwürdig: »Ich habe aber niemals offiziell erfahren, auf welchem Befehl die Tötung der Juden beruhte. Zwar ist mir nach dem Krieg bekannt geworden, dass es einen sogenannten "Führerbefehl" gab, der die Liquidierung der Juden aus rassischen Gründen zum Inhalt hatte, ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass mir schon während des Krieges jemals gesagt worden wäre, dass ein derartiger Befehl vorliege.
Von dem Vorliegen eines solchen Befehls hätte ich für meine Tätigkeit in Tunis Kenntnis erlangt haben müssen, denn dort gab es viele Juden, die z.T. sogar freiwillig für uns gearbeitet haben, ohne dass ihnen irgend etwas geschehen wäre.[12]«

Rauffs Beschreibung des Schicksals der tunesischen Juden ist zweifelsfrei verharmlosend, nichtsdestotrotz wurden diese Juden, wie schon erwähnt, nicht systematisch vernichtet. Es ist also nicht ersichtlich, warum er andere, auch geplante, Massenmorde nicht hätte gestehen sollen, da er doch seine Verantwortung für die Vergasung von 100.000 Menschen zugab, und dies zu einer Zeit, in der eine Kampagne zu seiner Auslieferung aus Chile lief. Seine unverblümte Ehrlichkeit könnte Ausdruck der zusätzlichen Sicherheit sein, die ihm seine weiter unten beschriebene Verbindung zum israelischen Geheimdienst verlieh.

Mallmann und Cüppers erbringen keine Beweise, dass die SS die Ermordung der jüdischen Gemeinde in Palästina geplant habe. Die SS kann ja auch andere Ziele mit diesen Juden verfolgt haben, etwa politische bzw. finanzielle. Denn entgegen der allgemeinen Meinung strebte die SS-Führung wohl nicht immer und grundsätzlich die totale Judenvernichtung an. So liegen Hinweise über den sogenannten Europaplan vor, dass sie parallel zur Rauffs Afrika- und Nahost-Mission angeboten habe, alle europäischen Juden, die noch nicht zu den Vernichtungslagern  deportiert wurden, freizulassen, wenn Lösegelder bezahlt und Verhandlungen zur Beendung des Krieges mit den Alliierten aufgenommen würden. Dies soll im Rahmen des so genannten Europaplans geschehen sein, welcher über Rabbiner Michael Dov Weissmandel und sein Rettungskomitee in Bratislava abgewickelt wurde[13]. Der israelische Forscher Prof. Yehuda Bauer ist der Meinung, dass zwar ein ähnlicher Plan Himmlers 1944 mit den ungarischen Juden existierte, negiert aber, dass dies schon 1942 der Fall war[14].

Ein anderer bekannter israelischer Experte, Prof. Shlomo Aronson, zweifelt zwar an der Ernsthaftigkeit solcher Verhandlungen der SS in den Jahren 1943 und 1944, zitiert jedoch zwei wichtige Zeitzeugen, die zionistischen Rettungsaktivisten Zeev Venia Hadari-Pomeranz und Nathan Dror-Schwalb, die absolut davon überzeugt waren, dass mit dem Europaplan viele Juden zu retten gewesen wären[15].

In einem Interview kurz vor seinem Tod sagte Hadari, dass es im Rahmen der Europaplan-Verhandlungen ein Fehler gewesen sei, von Adolf Eichmann die Freilassung auch von den polnischen Juden zu verlangen. »Er [Eichmann] war nicht bereit, die polnischen Juden freizulassen, weil, wie er sagte, „dies bekannt werden könnte.“ „Wem?“ [fragte Aronson]. „Wahrscheinlich Hitler, der von Himmler im Unwissen gehalten werden sollte, weil Himmler selber hätte bereit sein können, [im Geheimen mit den Alliierten] zu verhandeln…[16]«

Dieser Erpressungsversuch war eigentlich die Fortsetzung der Politik von 1938/39 mit anderen Methoden, als die NS-Führung von anderen Staaten »Lösegeld für die Freilassung von Geiseln aus Deutschland und ein Tauschgeschäft menschlichen Elends gegen Exportsteigerung forderte.[17]«

Über die Freilassung von Juden gegen Bezahlung von Lösegeldern sind einige Dokumente bekannt. So zum Beispiel ein Vermerk von Himmler im Dezember 1942:
»Ich habe den Führer wegen der Loslösung von Juden gegen Devisen gefragt. Er hat mir die Vollmacht gegeben, derartige Fälle zu genehmigen, wenn sie wirklich in namhaften Umfang Devisen von auswärts hereinbringen.[18]«

In einem Bericht vom Oktober 1942 beschrieb der US-Botschafter in Bern wie die NS-Regierung Lösegelder in Devisen von Juden erpresste. Gemeint waren reiche Juden und konkret wurden solche Transaktionen zwischen Holland und der Schweiz  erwähnt[19]. Diese Angelegenheit veranlasste die Schweizer Historiker-Kommission zu einem separaten Bericht über die Erpressung der niederländischen Juden[20].

Es gibt außerdem einen klaren Hinweis, dass auch der damalige wichtigste zionistische Führer und spätere erste Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, an den Europaplan glaubte. Im Herbst 1942 kam der Chef der zionistischen Gemeinde in Palästina zurück aus den USA und gründete in großer Eile einen Not-Sonderstab für die Integration von einer Million Juden[21]nach Palästina. Da Ben-Gurion nicht als Phantast, sondern als knallharter realistischer Politiker bekannt war, ist anzunehmen, dass er in den USA zu verstehen bekam, es bestünde die Chance, dass die US-Regierung den Europaplan unterstützen würde. Diese Erwartung erwies sich indes offenbar als falsch, denn wie Prof. David Wyman beweißt, war der dominante Teil der Regierung Roosevelt gegen große Rettungsaktionen von Juden[22].
Es besteht also eine große Wahrscheinlichkeit, dass die SS-Führung sehr ernsthaft die Möglichkeit eines "Judenhandels" – wie das Projekt jeweils von den Nazis benannt wurde[23] – ins Auge fasste. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Rauff die Juden zunächst in Geiselhaft nehmen sollte, um den Druck auf die Alliierten zu erhöhen. Denn die SS-Führung, war der Meinung, dass "DIE Juden die Welt beherrschen" und deshalb beispielsweise die jüdische Lobby in den USA imstande wäre, Roosevelt dazu zu bewegen, einen Sonderfrieden mit Deutschland zu schließen, wenn damit Juden gerettet werden könnten[24].

Bei Kriegsende war Rauff selbst durch einen jüdischen Agenten namens Valerio Benuzzi in einen solchen Erpressungsversuch in Norditalien involviert. Im Rahmen der Verhandlungen zur deutschen Kapitulation dort wurden 150 Juden, die im KZ-Bozen saßen, als Druckmittel eingesetzt, um bessere Bedingungen zu erzielen. Rauff schickte Benuzzi im Februar 1945 in die Schweiz, um bei Vertretern einer jüdischen Organisation, dem Internationalen Roten Kreuz Komitee (IKRK) sowie den USA für die Befreiung dieser jüdischen Geiseln sowohl politische wie auch finanzielle Gegenleistungen zu erreichen. Benuzzi wurde zwar in Bern vom britischen Geheimdienst entführt, die Verhandlung ging jedoch weiter, und im April wurde zwischen IKRK-Generalsekretär Hans Bachmann und dem zweiten Mann in der SS-Hierarchie, Ernst Kaltenbrunner, die Freilassung der Juden im KZ Bozen vereinbart. Die Gegenleistung für Kaltenbrunner ist aber nicht bekannt.[25]

Unter dem Strich genießt die Erpressungstheorie für Palästina eine größere Wahrscheinlichkeit als die Vernichtungsspekulation, und dass Rommel eventuell dagegen war, heißt nicht unbedingt, dass er pro-jüdisch eingestellt war. In einem Buch über jüdische »Mischlinge« in der Wehrmacht wird hervorgehoben, dass der einzige Ort im Heer, wo »Mischlinge« eine Zuflucht finden konnten, Rommels Deutsche Afrika-Korps (DAK) war. Es bleibt ungewiss ob Rommel persönlich dafür verantwortlich war. Sein Stabchef, Fritz Bayerlein, war »Vierteljude« und möglicherweise sogar »Halbjude« und das wusste Rommel bestimmt. Rommels Verhalten wird von einem »vierteljüdischen«, Hauptmann Horst von Oppenfeld so begründet, dass der Generalfeldmarschall sich nicht für die Rassenverordnungen interessiert habe[26].

»Obwohl Rommel von der Verfolgung der Juden wusste, ließ er offenbar nicht zu, dass die NS-Rassenpolitik einen Einfluss darauf hatte, wie er sein DAK führte. Oppenfeld glaubt, Rommel habe Befehle, Juden in seinem Operationsgebiet zu deportieren, missachtet. Im Juni 1942 hatte Hitler über das OKW Rommel angeblich befohlen, alle deutschen Juden, die er gefangennahm … auszurotten. Doch Rommel ignorierte offenbar diesen Befehl[27]«

Mallmann und Cüppers verfügen über keine Pläne über die Vernichtungsabsichten der SS oder die Zusammenarbeit bereitwilliger Palästinenser, allenfalls über ein paar Indizien, die unterschiedlich interpretiert werden können. Dass der Mufti von Jerusalem ein brennender Judenhasser und bereit zur Kooperation mit den Nazis war, wie die zwei Historiker ausführen, ist genauso unbestritten, wie die von ihnen unerwähnten, aber nicht weniger relevanten Versuche einer zionistischen Untergrundorganisation (der Nationalen Militärischen Organisation - NMO), 1941 gemeinsame Sache mit den Nazis gegen die Briten in Palästina zu machen[28].

Wie der einflussreiche israelische Geheimdienstler Ezra Danin beschreibt, hat es vor El-Alamein gemeinsame Vorbereitungen gegen eine eventuelle NS-Besatzung zwischen dem zionistischen Untergrund Haganah und arabischen Nationalisten gegeben, die sowohl Anti-Nazis als auch Mufti-Gegner waren. Diese Zusammenarbeit versiegte, als die Bedrohung einer Nazi-Invasion vorüber war[29].


Die Rauff-Geschichte bekommt abstruse Dimensionen, da eindeutige Beweise vorliegen, dass ein israelischer Geheimdienst nach dem Zweiten Weltkrieg den bedeutenden Naziverbrecher Rauff beschäftigte und seine Flucht nach Südamerika ermöglichte[30]. Menschen und wurde von den Nazi-Jägern Simon Wiesenthal und Beate Klarsfeld in einer internationalen Kampagne verfolgt.

1948 wurde Rauff, wie auch später andere NS-Verbrecher, von einem Vorläufer des Mossad eingesetzt, um in arabischen Ländern zu spionieren, da Nazis dort nicht der Zusammenarbeit mit Juden verdächtigt wurden. Diese Strategie löste beim israelischen Geheimdienst zwar immer wieder interne Diskussionen aus, an der Praxis aber änderte dies nichts.[31]. Der wichtige Agent und die später zentrale Figur im israelischen Atomprogramm, Schalheveth Freier, gab in einem Interview 1993 mit der grössten israelischen Zeitung Yedioth Achronot zu, dass er von Rauff brisante Informationen zu Syrien erhielt und den Nazi im Gegenzug nicht nur entlohnte, sondern diesem auch zu seiner Flucht aus Italien nach Südamerika verhalf. [32] Damit bestätigte der israelische Geheimdienstler CIA-Berichte, die erst 2005 freigegeben wurden und Informationen über diese Vorgänge beinhalten[33].

Freier bestritt, von Rauffs Rolle bei der Judenvergasung gewusst zu haben. Allerdings ist dies wenig überzeugend, da ja sein damaliger Chef und spätere Botschafter in der BRD, Asher Ben-Nathan, in Freiers Aktivitäten involviert war. Ben-Nathan, der bei Kriegsende Informationen über NS-Verbrecher sammelte, ist als erster Nazi-Jäger zu bezeichnen. Er bestätigt heute, dass er zu jener Zeit von Rauffs verbrecherischer Vergangenheit wusste[34]. Rauff ist im Zusammenhang mit der Vergasung von Juden achtzehnmal in den Protokollen der Nürnberger Prozesse erwähnt. Eigentlich, sollte man meinen, nicht gerade eine Person, den israelische Regierungsstellen schützen, bezahlen und beschäftigen sollten.

Shraga Elam ist israelischer Journalist und Buchautor. Er ist Träger des australischen Golden Walkley Award für ausgezeichneten Journalismus 2004.





[1] Zuerst als Aufsatz erschienen: Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina - Das Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942, in Jürgen Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.) Deutsche, Juden, Völkermord - Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006
Später in Buchform:
Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz - Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2006
[2] Halbmond und Hakenkreuz S. 138
[3] Email von Haim Saadon an den Autor von 20. März 2007

[4] Jean-Christoph Caron, Auf der Jagd nach dem Schatz des "Wüstenfuchses", Der Spiegel, 22. Dezember 2007

[5] »In Jul 42 Source was appointed head of the SS Einsatzkommando Afrika, but his staff was unable to go beyond ATHENS, and Source flew to TOBRUK for a personal interview with Rommel. It was decided that the arrival of the SD Einsatzkommando had been too long delayed to be of any value, and Source returned to BERLIN with his staff.
In Nov 42 Source went to TUNIS with an SD Einsatzkommando, somewhat reduced in size, and remained there till 10 May 43, when he flew over to Italy with his staff.« Interrogation report on SS Standartenfuehrer Rauff Walther, 22. November 1945, The National Archives of the United Kingdom, KV 2/1970
[6] Vernehmungsniederschrift, Santiago, 28.Juni 1972, http://www2.ca.nizkor.org/ftp.cgi/people/r/rauff.walter/Walter-Rauff.1972.txt
[7] Halbmond und Hakenkreuz S. 138
[8] Ebenda
[9] Ebenda
[10] Memorandum Dr. Voss and his friends, 9 Februar 1954, Rauff, The US National Archives and Records Administration, RG 263, Walter Rauff Name File, - RC Box 42
[11] »Ich halte es für ausgeschlossen, dass Pradel die Entwicklung der Gaswagen von sich aus vorgenommen hat. Er muss einen Befehl dafür entweder von mir oder von einem anderen Vorgesetzten, der noch über mir stand, bekommen haben. Ob ich damals Bedenken gegen den Einsatz der Gaswagen hatte, kann ich nicht sagen. Für mich stand damals im Vordergrund, dass die Erschiessungen für die Männer, die damit befasst wurden, eine erhebliche Belastung darstellten und dass diese Belastung durch den Einsatz der Gaswagen entfiel.« Aussage des Walter Rauff in Santiago de Chile, Vernehmungsniederschrift,, 28. Juni 1972 http://www.ns-archiv.de/einsatzgruppen/gaswagen/rauff/rauff-santiago.php 
[12] Ebenda
[13] S. beispielsweise Rabbi Michael Dov Weissmandel, Min ha-Mietzar, Jerusalem, 1960 (Heb.) Avraham Fuchs, The Unheeded Cry, Mesorah, Brooklyn, 1986 und auch Hanspeter Gschwend und Shraga Elam, Die Brücke von Sankt Margrethen - Menschen als internationale Handelsware, Schweizer Radio DRS, 11.1.1998, http://erhard-arendt.de/deutsch/palestina/Stimmen_Israel_juedische/elam_shraga_bruecke_von_sankt_margrethen.htm
[14] Yehuda Bauer: Freikauf von Juden? - Verhandlungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und jüdischen Repräsentanten von 1933 bis 1945, Jüdischer Verlag, Frankfur/M, 1996
[15] Zeev Venia Hadari, Against All Odds: Istanbul 1942-1945, Tel-Aviv: Ministry of Defense, 1992 (Heb.) S. 134-135. Und Shlomo Aronson, Hitler, the Allies, and the Jews,  Cambridge University Press, 2004 S. 169.
[16] Ebenda, S. 178
[17] Henry L. Feingold.: The Politics of Rescue. The Roosevelt Administration and the Holocaust 1938–
1945, New Brunswick, New York 1970. S. 52 
[18] Feld-Kommandostelle, 10. Dezember 1942 RF/V,  Moreshet Archiv, Giva'at Haviva/Israel D.I.5753
[19]  Memorandum von Botschafter Leland Harrison, Ransom procedure as now practiced by the German Governmental Authorities, 28. Oktober 1942, National Archives (NARA)Records of the U.S. Legation in Bern, Switzerland, Classified General Records 1940-1952 (Entry 3208) 840.1  Jews-Ransoming Procedures

[20] Bettina Zeugin und Thomas Sandkühler, Die Schweiz und die deutschen Lösegelderpressungen in den besetzten Niederlanden. Vermögensentziehung, Freikauf, Austausch 1940–1945, Beitrag zur Forschung, Unveränderte Ausgabe des publizierten Beihefts zum Flüchtlingsbericht von 1999, Reihe: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg Band: 24; http://www.uek.ch/de/publikationen1997-2000/loesegeld.pdf
[21] S. Dvora Hacohen, From Fantasy to Reality  (original title “The One Million Plan”) – Ben-Gurion’s Plan for Mass Immigration, 1942-45, Publishing House of the Israeli Defence Ministry, 1994
[22] David S. Wyman, Das unerwünschte Volk - Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden, Max Hüber, Ismaning bei München, 1986
[23]  »...Nach der heftigen Reaktion von England und USA auf den sog. Judenhandel ist anzunehmen, dass, wenn die deutschen Mittelsmänner mit amerikanischen Vertretern Kontakt nehmen, ein Skandal heraufbeschworen wird.« So schrieb der Schweizer Geheimdienstler und ehemalige Berlin-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" J.C. Meyer in seinem Bericht vom 31.12.1942, Akten J.C. Meyer, Schweizer Bundesarchiv E5330 1982/1 600 Bd. 3
[24] Für eine ausführlichere Darstellung des Himmlerschen Erpressungsplans siehe Shraga Elam, Hitlers Fälscher – wie jüdische, amerikanische und Schweizer Agenten der SS beim Falschgeldwaschen halfen, Ueberreuter Verlag, Wien, 2000 S. 61-67
[25] Shraga Elam, Hitlers Fälscher, S. 78 ff. und Shraga Elam, Helden braucht das Land - Waibels Sonnenfinsternis, Aus: "Operation Sunrise". Atti del convegno internazionale (Locarno, 2 maggio 2005), a cura di Marino Viganò - Dominic M. Pedrazzini (Lugano 2006), http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina/Stimmen_Israel_juedische/shraga_elam_zionism_max_waibel_sonnenfinsternis.htm
[26] Bryan Mark Rigg, Hitlers jüdische Soldaten, Ferdinand Schöningh, Paderborn, S. Auflage 2006, S. 169-170
[27] Ebenda, S. 170
[28] David Yisraeli, The Palestine Problem in German Politics, 1889-1945, (Phd.), Bar Ilan University, Ramat Gan, Israel, 1974.
[29] »..im Sommer 1942 trafen wir uns in meinem Haus in Hadera – Eliyahu Sasson, Reuven Shiloach und ich – mit einer Gruppe von arabischen Oppositionellen, darunter Sliman Tukan aus Nablus, Farid el-Rascheid aus Djenin und Fachri Abed el-Hadi aus Arabe, um die Möglichkeit zu diskutieren, dass das Land [Palästina] von den Deutschen besetzt werden könnte. Wir alle, Juden und Araber, waren davon überzeugt, dass an der Spitze der deutschen Einheiten die Mufti-Leute marschieren und alles tun würden, um ihre arabischen Gegner, die Oppositionellen und uns Juden zu vernichten. Um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, verlangten unsere Gesprächspartner Waffen von uns. (…) Wir beschlossen, einen gemeinsamen Fond mit einer anfänglichen Summe von 10,000 britischen Pfund zu gründen, um Waffen zu kaufen… (…) Es ist höchstwahrscheinlich das einzige sachliche Abkommen zwischen Juden und Arabern gegen einen gemeinsamen Feind. (…). Das jüdisch-arabische Abkommen … war nur solange von Wert, bis das Damoklesschwert nicht mehr über den Köpfen  unserer Partner schwebte. Als die Gefahr vorbei war, nahm das Wasser wieder seinen gewohnten Lauf.« Ezra Danin, ein unbedingter Zionist (Zionist be'chol tnai), Kidum Verlag, Jerusalem, 1987 (Heb.), S. 157-158.
[30] Shraga Elam and Dennis Whitehead, In the service of the Jewish state, Haaretz, 30.3.2007, http://www.haaretz.com/hasen/spages/843805.html
[31] Shlomo Shpiro, Für die Sicherheit Israels kooperieren wir sogar mit dem Teufel, Berliner Zeitung, 8.1.2000 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2000/0108/magazin/0001/index.html
[32] Shlomo Nakdimon, Schalheveth ist kein Weichei (Schaheveth lo Freier), Yedioth Achronot, Pessach-Beilage 1993 (Heb.).
[33] Record Group 263 CIA Name Files, Second Release, RAUFF, WALTER Box: 15 Location: 2002/A/10/4
[34] Telefonisches Gespräch des Autors mit Asher Ben-Nathan im Frühjahr 2007

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