Gab es
NS-Pläne zur Vernichtung der Juden in Palästina während des Zweiten Weltkriegs?
Von Shraga Elam
Inamo Heft 53
2. April 2008
2006 gelang zwei
deutschen Historikern eine Enthüllung, die ein weltweites Echo auslöste. Sie
behaupteten, Dokumente entdeckt zu haben, die belegen, dass die SS 1942 die
Vernichtung der Juden in Palästina geplant habe. Dabei soll ein SS-Team, das
Einsatzkommando Ägypten, auf die tatkräftige Mithilfe von arabischen
Kollaborateuren für den geplanten Massenmord gezählt haben. Unbestritten ist,
dass im Juli 1942 eine 24-köpfige SS-Einheit in Athen stationiert wurde, deren
genauere Aufgabe in
Palästina und Ägypten alles andere
als klar ist. Laut Aussagen der Forscher Klaus Michael-Mallmann und Martin
Cüppers habe nur die Niederlage der Wehrmacht bei der Schlacht von El-Alamein
im Oktober 1942 die jüdische Gemeinde in Palästina gerettet. Die geplante
Massenvernichtung sollte mit Hilfe der Palästinenser durchgeführt werden. Shraga
Elam verweist diese „großartige Enthüllung“ ins Reich der wilden Spekulation
und Fantasie.
Klaus
Michael-Mallmann und Martin Cüppers, die Autoren von Halbmond und Hakenkreuz [1]
schreiben: »Aufgrund
der Kommunikation zwischen SS und Wehrmachtsführung wurde in der entscheidenden
Passage der Einsatzrichtlinien festgehalten: "Mit Zustimmung des
Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei wird der Einsatz des
SS-Kommandos bei der Panzer Armee Afrika folgendermaßen geregelt: 1) Das
SS-Einsatzkdo. erhält seine fachlichen Weisungen vom Chef des S.P. [der
Sicherheitspolizei] und S.D. und führt seine Aufgaben in eigener
Verantwortlichkeit durch. Es ist berechtigt, im Rahmen seines Auftrages in
eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu
treffen."(S.137 f) «
Diese Exekutivmaßnahmen werden nicht näher erläutert, und
die zwei Historiker entwickeln eine eher
waghalsige Interpretation, die jedoch von den Medien als praktisch erwiesen
rezipiert wurde.
Die Autoren behaupten:
»Die gesamte Vereinbarung
entsprach inhaltlich jenem Text, der seit dem Vorjahr die Grundlage für den
Massenmord der Einsatzgruppen in der Sowjetunion bildete. Zentrale Passagen
waren, weil sie sich offenbar in der Praxis 'bewährt' hatten, einfach
wortwörtlich übernommen worden.[2]«
Den spekulativen Charakter dieser Auslegung zeigt
schon die Tatsache, dass der Chef dieses
Einsatzkommandos, SS-Obersturmbannführer Walther Rauff und sein Stab noch vor der deutschen
Niederlage in El-Alamein den Auftrag in Ägypten und angeblich Palästina
aufgeben mussten. Ein paar Monate darauf zogen sie nach Tunesien, wo sie zwar Juden
verfolgten, diese jedoch nicht vernichteten. Das heißt, die erwähnten
Exekutivmaßnahmen in einem von den Nazis besetzen Land bedeuteten nicht
zwangsläufig einen Massenmord an den Juden.
Der israelische Historiker Haim Saadon, Direktor des
Zentrums für Dokumentation und Erforschung der nordafrikanischen Juden während
des Zweiten Weltkriegs, erklärt, dass für ihn nicht ersichtlich sei, was Rauff
mit den Juden vorhatte, die unter NS-Kontrolle in Tunesien waren. Es liegt
zuwenig schriftliches Material vor, um zu dieser Frage ein eindeutiges Ergebnis
zu erlangen. Saadon, der das Thema mit internationaler Unterstützung erforscht, weist darauf hin,
dass die Nazis damals in Nordafrika schwerwiegende logistische Probleme hatten,
was die Deportation nach Auschwitz praktisch ausgeschlossen habe. In Tunesien
gab es weder die Vernichtungsinfrastruktur, noch sind Belege dafür vorhanden,
dass es einen Vernichtungsplan gegeben habe, meint der israelische Historiker
weiter, geschweige denn, dass ein solcher umgesetzt worden wäre. Das gleiche
gelte für Libyen, so Saadon[3].
Es ist bekannt, dass Rauffs Stab, der Juden in Arbeitslagern
gefangen hielt, in Tunesien um 200 SS-Männer verstärkt wurde. Durch die
Beraubung und Erpressung der Juden entstand auch ein richtiger Goldschatz, dessen
Verbleib jedoch bis heute unklar und ein Ziel für
Schatzsucher ist[4].
Nicht nur die von den Deutschen verlorene Schlacht von El-Alamein
verhinderte den SS-Einsatz in Palästina. Gemäß einem Verhörprotokoll vom
22.11.1945 sagte Rauff aus, er hätte Generalfeldmarschall Erwin Rommel in
Tobruk (Libyen) persönlich getroffen, und dies
vor der Schlacht in El-Alamein; er sei dann aber auf Rommels Ablehnung gegen
seine Nahost-Mission gestoßen.
»Jul[i] [19]42
wurde die Quelle [Rauff] zum Chef des SS-Einsatzkommandos Afrika ernannt, sein
Stab konnte jedoch nicht weiter als nach ATHEN gehen, und die Quelle flog nach
TOBRUK für ein persönliches Gespräch mit Rommel. Es wurde beschlossen, dass die
Ankunft des SD-Einsatzkommandos zu lange verzögert worden war, um
von Nutzen zu sein, und die Quelle kehrte mit seinem Stab nach Berlin zurück.
Im Nov[ember] [19]42 ging die Quelle mit einem etwas reduzierten SD
Einsatzkommando nach TUNESIEN. [5]«
Rauffs seltsame und unklare Aussage, dass die Ankunft seines
Einsatzkommandos zu lange verzögert worden sei, um nützlich zu sein, scheint
seine Formulierung des Offensichtlichen zu sein, nämlich dass Rommel schon im
Juli 1942 wusste, dass er Ägypten und Palästina nicht erobern konnte. Es könnte
durchaus sein, dass Rauff damit Rommels Widerstand gegen den SS-Einsatz im Nahen
Osten zu verheimlichen versuchte.
Die Zusammenkunft
mit Rommel bestätigte Rauff bei einer gerichtlichen Aussage von 1972 nochmals:
»Ich möchte noch klarstellen, dass ich
bei Rommel nur kurze Zeit gewesen bin und schon vor der Schlacht bei El Alamein
nach Berlin zurückkehrte.[6]«
Mallmann und Cüpers schreiben über Rauffs Besuch, dass
»am 20. Juli, …SS-Obersturmbannführer Walther Rauff nach Tobruk [flog], um
"von Generalfeldmarschall Rommel die notwendigen Instruktionen für den
Einsatz" seines Kommandos zu empfangen.[7]«
Die deutschen Historiker leiten daraus ab, dass »die Verwendung der [SS-]Einheit … damit unmittelbar bevor [gestanden
habe].[8]«
Klaus
Michael-Mallmann und Martin Cüppers behaupten – gegen Rauffs eigene Aussage –,
dass es »höchstwahrscheinlich« nicht zu einem
persönlichen Treffen mit dem Oberbefehlshaber des Deutschen Afrika-Korps
gekommen sei, weil Rommel »seine Truppen
fast 500 Kilometer östlich von Tobruk gerade in die entscheidende Endphase der
ersten Schlacht von El Alamein [führte]; dabei wird jeglicher Transportraum
viel dringender für den Nachschub als für die weitere Heranführung des
Obersturmbannführers benötigt worden sein.[9]«
Dieser Schluss
ist nicht zwingend. Erstens ist nicht bekannt, wo genau Rommel sich befand und
zweitens wäre, wenn Rauff schon per Flugzeug nach Tobruk kommen konnte, ein
Landfahrzeug mit einer Begleitung noch weniger problematisch zu organisieren
gewesen.
Das Negieren des
Treffens von Rauff mit Rommel ist offensichtlich wichtig für Mallmann und
Cüppers, weil sie die Zuverlässigkeit eines CIA-Dokuments über eine solche
Begegnung stark in Zweifel ziehen, obwohl sie nicht einmal aus dem Original
zitieren. Darin heißt es jedoch: »Im Mai
oder Juni 1942 flog dieser RAUFF zu
General ROMMELs Hauptquartier, um mit ihm die Vernichtung der Juden in Kairo,
nach der Eroberung der Stadt durch die deutschen Einheiten, zu diskutieren.
Rommel war angewidert und schickte ihn nach Hause.[10]«
Dieses Dokument
beinhaltet einige Ungenauigkeiten. So wird Rauff beispielsweise als Pole
bezeichnet, und das diskutierte Treffen auf Mai oder Juni, und nicht Juli 1942
festgelegt. Trotzdem stellt sich die Frage, wozu und wie der Informant des
US-Botschafters, der als Quelle angegeben wird, eine solche Begegnung erfunden
haben sollte.
Eigentlich
bestärkt das US-Memo Malmann und Cüppers in ihrer Theorie, die SS habe die
Juden in Palästina und Ägypten vernichten wollen. Nur, anders als in ihrem Buch
zu lesen ist, bestand – gemäss diesem CIA-Papier – noch vor der Schlacht bei El-Alamein
keine unmittelbare Gefahr für die Juden in Palästina, da Rommel dagegen gewesen
sei, diese zu töten.
Es könnte sein,
dass die Judenvernichtung für Rommel zu weit ging. Logischer ist jedoch, dass
Rauff aus praktischen Gründen zurückgewiesen worden war. Nämlich, weil es keine
Chance mehr gab, Ägypten und Palästina zu erobern.
Es ist überhaupt
nicht klar woher die Idee eines vermeintlichen Einsatzes Rauffs in Palästina
kommt. Mallmann und Cüppers schreiben: » Am späten Vormittag des l. Juli 1942 referierte
Schellenberg bei Himmler über „Einsatz in Ägypten".« (S. 137). Auch Rauff sprach nur von Ägypten und
sein Stab hiess auch „Einsatzkommando Ägypten“.
Die zwei
Historiker geben einen einzigen Hinweis auf einem Dokument, welches die
angebliche Palästina-Mission belegen soll:
»Die Truppe des RSHA, die am 29. Juli nach Athen überführt wurde und aus
sieben SS-Führern und 17 Unterführern und Mannschaften bestand, sollte zunächst
in Ägypten und nach dessen vollständiger Eroberung
im angrenzenden Palästina zum Einsatz kommen und dort zweifellos in erster
Linie gegen Juden aktiv werden.9« (S. 138-139)
Diese
Behauptung wird lediglich mit einem Referenz zum folgenden Papier im Berliner
Bundesarchiv belegt: Dt.Gen.b.HQu.It.Wehrm.
an OKW/WFSt/Qu.I v. 14.9.1942, BAB, NS 19/3695.
In diesem Dokument vom 14.9.1942 kommt aber das
Wort Palästina gar nicht vor. Hingegen wird dort der Wehrmacht Widerstand zur Rauffs Mission ganz
klar und deutlich formuliert, was die Historiker völlig verschweigen.
Gegen die
Vernichtungsabsichten spricht Rauffs eigene offizielle Aussage von 1972 im für
ihn sicheren Chile. Er gesteht, dass Juden in Russland vergast oder auf andere
Weise ermordet wurden. Da Rauff nicht einmal seine eigene Beteiligung bei der
Vergasung von Juden in Lastwagen verleugnet[11],
scheint sein Dementi, dass solche Befehle für Afrika bestanden haben,
glaubwürdig: »Ich habe aber niemals
offiziell erfahren, auf welchem Befehl die Tötung der Juden beruhte. Zwar ist
mir nach dem Krieg bekannt geworden, dass es einen sogenannten
"Führerbefehl" gab, der die Liquidierung der Juden aus rassischen
Gründen zum Inhalt hatte, ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass mir
schon während des Krieges jemals gesagt worden wäre, dass ein derartiger Befehl
vorliege.
Von dem Vorliegen eines solchen Befehls hätte ich
für meine Tätigkeit in Tunis Kenntnis erlangt haben müssen, denn dort gab es
viele Juden, die z.T. sogar freiwillig für uns gearbeitet haben, ohne dass
ihnen irgend etwas geschehen wäre.[12]«
Rauffs
Beschreibung des Schicksals der tunesischen Juden ist zweifelsfrei
verharmlosend, nichtsdestotrotz wurden diese Juden, wie schon erwähnt, nicht
systematisch vernichtet. Es ist also nicht ersichtlich, warum er andere, auch
geplante, Massenmorde nicht hätte gestehen sollen, da er doch seine Verantwortung
für die Vergasung von 100.000 Menschen zugab, und dies zu einer Zeit, in der
eine Kampagne zu seiner Auslieferung aus Chile lief. Seine unverblümte
Ehrlichkeit könnte Ausdruck der zusätzlichen Sicherheit sein, die ihm seine
weiter unten beschriebene Verbindung zum israelischen Geheimdienst verlieh.
Mallmann und
Cüppers erbringen keine Beweise, dass die SS die Ermordung der jüdischen
Gemeinde in Palästina geplant habe. Die SS kann ja auch andere Ziele mit diesen
Juden verfolgt haben, etwa politische bzw. finanzielle. Denn entgegen der
allgemeinen Meinung strebte die SS-Führung wohl nicht immer und grundsätzlich
die totale Judenvernichtung an. So liegen Hinweise über den sogenannten Europaplan
vor, dass sie parallel zur Rauffs Afrika- und Nahost-Mission angeboten habe,
alle europäischen Juden, die noch nicht zu den Vernichtungslagern deportiert wurden, freizulassen, wenn
Lösegelder bezahlt und Verhandlungen zur Beendung des Krieges mit den Alliierten
aufgenommen würden. Dies soll im Rahmen des so genannten Europaplans geschehen
sein, welcher über Rabbiner Michael Dov Weissmandel und sein Rettungskomitee in
Bratislava abgewickelt wurde[13].
Der israelische Forscher Prof. Yehuda Bauer ist der Meinung, dass zwar ein
ähnlicher Plan Himmlers 1944 mit den ungarischen Juden existierte, negiert
aber, dass dies schon 1942 der Fall war[14].
Ein anderer
bekannter israelischer Experte, Prof. Shlomo Aronson, zweifelt zwar an der
Ernsthaftigkeit solcher Verhandlungen der SS in den Jahren 1943 und 1944,
zitiert jedoch zwei wichtige Zeitzeugen, die zionistischen Rettungsaktivisten
Zeev Venia Hadari-Pomeranz und Nathan Dror-Schwalb, die absolut davon überzeugt
waren, dass mit dem Europaplan viele Juden zu retten gewesen wären[15].
In einem
Interview kurz vor seinem Tod sagte Hadari, dass es im Rahmen der
Europaplan-Verhandlungen ein Fehler gewesen sei, von Adolf Eichmann die
Freilassung auch von den polnischen Juden zu verlangen. »Er [Eichmann] war
nicht bereit, die polnischen Juden freizulassen, weil, wie er sagte, „dies
bekannt werden könnte.“ „Wem?“ [fragte Aronson]. „Wahrscheinlich Hitler, der
von Himmler im Unwissen gehalten werden sollte, weil Himmler selber hätte
bereit sein können, [im Geheimen mit den Alliierten] zu verhandeln…[16]«
Dieser
Erpressungsversuch war eigentlich die Fortsetzung der Politik von 1938/39 mit
anderen Methoden, als die NS-Führung von anderen Staaten »Lösegeld für die
Freilassung von Geiseln aus Deutschland und ein Tauschgeschäft menschlichen
Elends gegen Exportsteigerung forderte.[17]«
Über die
Freilassung von Juden gegen Bezahlung von Lösegeldern sind einige Dokumente
bekannt. So zum Beispiel ein Vermerk von Himmler im Dezember 1942:
»Ich habe den Führer wegen der Loslösung von
Juden gegen Devisen gefragt. Er hat mir die Vollmacht gegeben, derartige Fälle
zu genehmigen, wenn sie wirklich in namhaften Umfang Devisen von auswärts
hereinbringen.[18]«
In einem Bericht
vom Oktober 1942 beschrieb der US-Botschafter in Bern wie die NS-Regierung
Lösegelder in Devisen von Juden erpresste. Gemeint waren reiche Juden und
konkret wurden solche Transaktionen zwischen Holland und der Schweiz erwähnt[19]. Diese Angelegenheit veranlasste die
Schweizer Historiker-Kommission zu einem separaten Bericht über die Erpressung
der niederländischen Juden[20].
Es gibt außerdem
einen klaren Hinweis, dass auch der damalige wichtigste zionistische Führer und
spätere erste Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, an den Europaplan
glaubte. Im Herbst 1942 kam der Chef der zionistischen Gemeinde in Palästina
zurück aus den USA und gründete in großer Eile einen Not-Sonderstab für die
Integration von einer Million Juden[21]nach
Palästina. Da Ben-Gurion nicht als Phantast, sondern als knallharter
realistischer Politiker bekannt war, ist anzunehmen, dass er in den USA zu
verstehen bekam, es bestünde die Chance, dass die US-Regierung den Europaplan
unterstützen würde. Diese Erwartung erwies sich indes offenbar als falsch, denn
wie Prof. David Wyman beweißt, war der dominante Teil der Regierung Roosevelt gegen
große Rettungsaktionen von Juden[22].
Es besteht also
eine große Wahrscheinlichkeit, dass die SS-Führung sehr ernsthaft die
Möglichkeit eines "Judenhandels" – wie das Projekt jeweils von den
Nazis benannt wurde[23]
– ins Auge fasste. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Rauff die Juden
zunächst in Geiselhaft nehmen sollte, um den Druck auf die Alliierten zu
erhöhen. Denn die SS-Führung, war der Meinung, dass "DIE Juden die Welt
beherrschen" und deshalb beispielsweise die jüdische Lobby in den USA
imstande wäre, Roosevelt dazu zu bewegen, einen Sonderfrieden mit Deutschland
zu schließen, wenn damit Juden gerettet werden könnten[24].
Bei Kriegsende
war Rauff selbst durch einen jüdischen Agenten namens Valerio Benuzzi in einen
solchen Erpressungsversuch in Norditalien involviert. Im Rahmen der
Verhandlungen zur deutschen Kapitulation dort wurden 150 Juden, die im KZ-Bozen
saßen, als Druckmittel eingesetzt, um bessere Bedingungen zu erzielen. Rauff
schickte Benuzzi im Februar 1945 in die Schweiz, um bei Vertretern einer
jüdischen Organisation, dem Internationalen Roten Kreuz Komitee (IKRK) sowie den
USA für die Befreiung dieser jüdischen Geiseln sowohl politische wie auch finanzielle
Gegenleistungen zu erreichen. Benuzzi wurde zwar in Bern vom britischen Geheimdienst entführt, die
Verhandlung ging jedoch weiter, und im April wurde zwischen
IKRK-Generalsekretär Hans Bachmann und dem zweiten Mann in der SS-Hierarchie,
Ernst Kaltenbrunner, die Freilassung der Juden im KZ Bozen vereinbart. Die Gegenleistung
für Kaltenbrunner ist aber nicht bekannt.[25]
Unter dem Strich
genießt die Erpressungstheorie für Palästina eine größere Wahrscheinlichkeit
als die Vernichtungsspekulation, und dass Rommel eventuell dagegen war, heißt
nicht unbedingt, dass er pro-jüdisch eingestellt war. In einem Buch über
jüdische »Mischlinge« in der Wehrmacht wird hervorgehoben, dass der einzige Ort
im Heer, wo »Mischlinge« eine Zuflucht finden konnten, Rommels Deutsche
Afrika-Korps (DAK) war. Es bleibt ungewiss ob Rommel persönlich dafür
verantwortlich war. Sein Stabchef, Fritz Bayerlein, war »Vierteljude« und
möglicherweise sogar »Halbjude« und das wusste Rommel bestimmt. Rommels
Verhalten wird von einem »vierteljüdischen«, Hauptmann Horst von Oppenfeld so
begründet, dass der Generalfeldmarschall sich nicht für die Rassenverordnungen interessiert
habe[26].
»Obwohl Rommel von der Verfolgung der Juden wusste, ließ er offenbar
nicht zu, dass die NS-Rassenpolitik einen Einfluss darauf hatte, wie er sein
DAK führte. Oppenfeld glaubt, Rommel habe Befehle, Juden in seinem
Operationsgebiet zu deportieren, missachtet. Im Juni 1942 hatte Hitler über das
OKW Rommel angeblich befohlen, alle deutschen Juden, die er gefangennahm …
auszurotten. Doch Rommel ignorierte offenbar diesen Befehl…[27]«
Mallmann und
Cüppers verfügen über keine Pläne über die Vernichtungsabsichten der SS oder
die Zusammenarbeit bereitwilliger Palästinenser, allenfalls über ein paar
Indizien, die unterschiedlich interpretiert werden können. Dass der Mufti von
Jerusalem ein brennender Judenhasser und bereit zur Kooperation mit den Nazis
war, wie die zwei Historiker ausführen, ist genauso unbestritten, wie die von
ihnen unerwähnten, aber nicht weniger relevanten Versuche einer zionistischen
Untergrundorganisation (der Nationalen Militärischen Organisation - NMO), 1941
gemeinsame Sache mit den Nazis gegen die Briten in Palästina zu machen[28].
Wie der
einflussreiche israelische Geheimdienstler Ezra Danin beschreibt, hat es vor El-Alamein
gemeinsame Vorbereitungen gegen eine eventuelle NS-Besatzung zwischen dem
zionistischen Untergrund Haganah und arabischen Nationalisten gegeben, die
sowohl Anti-Nazis als auch Mufti-Gegner waren. Diese Zusammenarbeit versiegte,
als die Bedrohung einer Nazi-Invasion vorüber war[29].
Die Rauff-Geschichte
bekommt abstruse Dimensionen, da eindeutige Beweise vorliegen, dass ein
israelischer Geheimdienst nach dem Zweiten Weltkrieg den bedeutenden
Naziverbrecher Rauff beschäftigte und seine Flucht nach Südamerika ermöglichte[30].
Menschen und wurde von den Nazi-Jägern Simon Wiesenthal und Beate Klarsfeld in
einer internationalen Kampagne verfolgt.
1948 wurde Rauff,
wie auch später andere NS-Verbrecher, von einem Vorläufer des Mossad
eingesetzt, um in arabischen Ländern zu spionieren, da Nazis dort nicht der
Zusammenarbeit mit Juden verdächtigt wurden. Diese Strategie löste beim
israelischen Geheimdienst zwar immer wieder interne Diskussionen aus, an der
Praxis aber änderte dies nichts.[31].
Der wichtige Agent und die später zentrale Figur im israelischen Atomprogramm,
Schalheveth Freier, gab in einem Interview 1993 mit der grössten israelischen Zeitung
Yedioth Achronot zu, dass er
von Rauff brisante Informationen zu Syrien erhielt und den Nazi im Gegenzug
nicht nur entlohnte, sondern diesem auch zu seiner Flucht aus Italien nach
Südamerika verhalf. [32]
Damit bestätigte der israelische Geheimdienstler CIA-Berichte, die erst 2005
freigegeben wurden und Informationen über diese Vorgänge beinhalten[33].
Freier bestritt,
von Rauffs Rolle bei der Judenvergasung gewusst zu haben. Allerdings ist dies
wenig überzeugend, da ja sein damaliger Chef und spätere Botschafter in der
BRD, Asher Ben-Nathan, in Freiers Aktivitäten involviert war. Ben-Nathan, der
bei Kriegsende Informationen über NS-Verbrecher sammelte, ist als erster Nazi-Jäger
zu bezeichnen. Er bestätigt heute, dass er zu jener Zeit von Rauffs verbrecherischer
Vergangenheit wusste[34].
Rauff ist im Zusammenhang mit der Vergasung von Juden achtzehnmal in den
Protokollen der Nürnberger Prozesse erwähnt. Eigentlich, sollte man meinen,
nicht gerade eine Person, den israelische Regierungsstellen schützen, bezahlen
und beschäftigen sollten.
Shraga Elam
ist israelischer Journalist und Buchautor. Er ist Träger des australischen Golden
Walkley Award für ausgezeichneten Journalismus 2004.
[1] Zuerst als Aufsatz
erschienen: Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina - Das
Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942, in Jürgen
Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.) Deutsche, Juden, Völkermord - Der
Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 2006
Später in Buchform:
Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers:
Halbmond und Hakenkreuz - Das Dritte Reich, die Araber und Palästina,
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2006
[2] Halbmond und Hakenkreuz S. 138
[3] Email von Haim Saadon an den Autor von
20. März 2007
[4] Jean-Christoph Caron, Auf der Jagd nach dem Schatz des "Wüstenfuchses", Der Spiegel, 22. Dezember 2007
[5] »In Jul 42 Source
was appointed head of the SS Einsatzkommando Afrika, but his staff was unable
to go beyond ATHENS,
and Source flew to TOBRUK for a personal interview with Rommel. It was decided
that the arrival of the SD Einsatzkommando had been too long delayed to be of
any value, and Source returned to BERLIN
with his staff.
In Nov 42 Source went to TUNIS with an
SD Einsatzkommando, somewhat reduced in size, and remained there till 10 May
43, when he flew over to Italy
with his staff.« Interrogation report on SS Standartenfuehrer Rauff Walther,
22. November 1945, The National Archives of the United Kingdom, KV 2/1970
[6] Vernehmungsniederschrift, Santiago, 28.Juni 1972, http://www2.ca.nizkor.org/ftp.cgi/people/r/rauff.walter/Walter-Rauff.1972.txt
[7] Halbmond und Hakenkreuz S. 138
[8] Ebenda
[9] Ebenda
[10] Memorandum Dr. Voss and his friends, 9
Februar 1954, Rauff, The US National Archives and Records Administration, RG
263, Walter Rauff Name File, -
RC Box 42
[11] »Ich halte es für ausgeschlossen, dass Pradel die Entwicklung der Gaswagen von sich aus vorgenommen hat. Er muss einen Befehl dafür entweder von mir oder von einem anderen Vorgesetzten, der noch über mir stand, bekommen haben. Ob ich damals Bedenken gegen den Einsatz der Gaswagen hatte, kann ich nicht sagen. Für mich stand damals im Vordergrund, dass die Erschiessungen für die Männer, die damit befasst wurden, eine erhebliche Belastung darstellten und dass diese Belastung durch den Einsatz der Gaswagen entfiel.« Aussage des Walter Rauff in Santiago de Chile, Vernehmungsniederschrift,, 28. Juni 1972 http://www.ns-archiv.de/einsatzgruppen/gaswagen/rauff/rauff-santiago.php
[12] Ebenda
[13] S. beispielsweise Rabbi Michael Dov
Weissmandel, Min ha-Mietzar,
Jerusalem, 1960 (Heb.) Avraham Fuchs, The
Unheeded Cry, Mesorah, Brooklyn, 1986 und auch Hanspeter Gschwend und
Shraga Elam, Die Brücke von Sankt
Margrethen - Menschen als internationale Handelsware, Schweizer Radio DRS,
11.1.1998,
http://erhard-arendt.de/deutsch/palestina/Stimmen_Israel_juedische/elam_shraga_bruecke_von_sankt_margrethen.htm
[14] Yehuda
Bauer: Freikauf von Juden? - Verhandlungen zwischen dem nationalsozialistischen
Deutschland und jüdischen Repräsentanten von 1933 bis 1945, Jüdischer Verlag,
Frankfur/M, 1996
[15] Zeev Venia Hadari, Against
All Odds: Istanbul
1942-1945, Tel-Aviv: Ministry of Defense, 1992 (Heb.) S. 134-135. Und
Shlomo Aronson, Hitler, the Allies, and
the Jews, Cambridge University
Press, 2004 S. 169.
[16] Ebenda,
S. 178
[17] Henry L. Feingold.: The Politics of Rescue. The Roosevelt
Administration and the Holocaust 1938–
1945, New
Brunswick, New York
1970. S. 52
[18] Feld-Kommandostelle, 10.
Dezember 1942 RF/V, Moreshet Archiv, Giva'at
Haviva/Israel D.I.5753
[19] Memorandum von
Botschafter Leland Harrison, Ransom procedure as now practiced by the German
Governmental Authorities, 28. Oktober 1942, National
Archives (NARA)Records of the U.S. Legation in Bern, Switzerland,
Classified General Records 1940-1952 (Entry 3208) 840.1 Jews-Ransoming
Procedures
[20] Bettina Zeugin und
Thomas Sandkühler, Die Schweiz und die
deutschen Lösegelderpressungen in den besetzten Niederlanden.
Vermögensentziehung, Freikauf, Austausch 1940–1945, Beitrag zur Forschung,
Unveränderte Ausgabe des publizierten Beihefts zum Flüchtlingsbericht von 1999,
Reihe: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg Band: 24;
http://www.uek.ch/de/publikationen1997-2000/loesegeld.pdf
[21] S. Dvora Hacohen, From
Fantasy to Reality (original title “The One Million Plan”) – Ben-Gurion’s Plan for Mass Immigration,
1942-45, Publishing House of the Israeli Defence Ministry, 1994
[22] David S. Wyman, Das unerwünschte Volk - Amerika und die Vernichtung der europäischen
Juden, Max Hüber, Ismaning bei München, 1986
[23] »...Nach der heftigen
Reaktion von England und USA auf den sog. Judenhandel ist anzunehmen, dass,
wenn die deutschen Mittelsmänner mit amerikanischen Vertretern Kontakt nehmen,
ein Skandal heraufbeschworen wird.« So schrieb der Schweizer Geheimdienstler
und ehemalige Berlin-Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" J.C.
Meyer in seinem Bericht vom 31.12.1942, Akten J.C. Meyer, Schweizer
Bundesarchiv E5330 1982/1 600 Bd. 3
[24] Für eine ausführlichere Darstellung des
Himmlerschen Erpressungsplans siehe Shraga Elam, Hitlers Fälscher – wie
jüdische, amerikanische und Schweizer Agenten der SS beim Falschgeldwaschen
halfen, Ueberreuter Verlag, Wien, 2000 S. 61-67
[25] Shraga Elam, Hitlers
Fälscher, S. 78 ff. und Shraga Elam, Helden braucht das
Land - Waibels Sonnenfinsternis, Aus: "Operation Sunrise". Atti del convegno
internazionale (Locarno, 2 maggio 2005), a cura di Marino Viganò - Dominic M.
Pedrazzini (Lugano 2006),
http://www.arendt-art.de/deutsch/palestina/Stimmen_Israel_juedische/shraga_elam_zionism_max_waibel_sonnenfinsternis.htm
[26] Bryan Mark Rigg, Hitlers jüdische Soldaten, Ferdinand Schöningh, Paderborn, S. Auflage 2006,
S. 169-170
[27] Ebenda, S. 170
[28] David Yisraeli, The Palestine Problem in German Politics, 1889-1945,
(Phd.), Bar Ilan University, Ramat Gan, Israel, 1974.
[29] »..im Sommer 1942 trafen wir uns in
meinem Haus in Hadera – Eliyahu Sasson, Reuven Shiloach und ich – mit einer
Gruppe von arabischen Oppositionellen, darunter Sliman Tukan aus Nablus, Farid
el-Rascheid aus Djenin und Fachri Abed el-Hadi aus Arabe, um die Möglichkeit zu
diskutieren, dass das Land [Palästina] von den Deutschen besetzt werden könnte.
Wir alle, Juden und Araber, waren davon überzeugt, dass an der Spitze der
deutschen Einheiten die Mufti-Leute marschieren und alles tun würden, um ihre
arabischen Gegner, die Oppositionellen und uns Juden zu vernichten. Um den
gemeinsamen Feind zu bekämpfen, verlangten unsere Gesprächspartner Waffen von
uns. (…) Wir beschlossen, einen gemeinsamen Fond mit einer anfänglichen Summe
von 10,000 britischen Pfund zu gründen, um Waffen zu kaufen… (…) Es ist
höchstwahrscheinlich das einzige sachliche Abkommen zwischen Juden und Arabern
gegen einen gemeinsamen Feind. (…). Das jüdisch-arabische Abkommen … war nur
solange von Wert, bis das Damoklesschwert nicht mehr über den Köpfen unserer Partner schwebte. Als die Gefahr
vorbei war, nahm das Wasser wieder seinen gewohnten Lauf.« Ezra Danin, ein unbedingter Zionist (Zionist be'chol
tnai), Kidum Verlag, Jerusalem, 1987 (Heb.), S. 157-158.
[30] Shraga Elam and Dennis
Whitehead, In the service of the Jewish
state, Haaretz, 30.3.2007, http://www.haaretz.com/hasen/spages/843805.html
[32] Shlomo Nakdimon, Schalheveth ist kein Weichei (Schaheveth lo Freier), Yedioth
Achronot, Pessach-Beilage 1993 (Heb.).
[33] Record Group 263
CIA Name Files, Second Release, RAUFF, WALTER Box: 15
Location: 2002/A/10/4
[34] Telefonisches Gespräch des Autors mit Asher Ben-Nathan im Frühjahr 2007
No comments:
Post a Comment