Friday, December 11, 2009

Die Ängste vor der «Verjudung» der Schweiz

Obwohl ich ein scharfer Kritiker der Bergier-Kommission bin, muss ich deren Mitglied, Prof. Georg Kreis*, in Schutz nehmen.

Kreis verglich am 8. Dezember 2009 im «Club» des Schweizer Fernsehens (SF) die Angriffe auf den Islam mit der antijüdischen Stimmung vor dem Zweiten Weltkrieg. «Wenn eine SVP damals eine Initiative gegen die «Verjudung» der Schweiz lanciert hätte, wäre die unter Umständen auch angenommen worden wegen den Ängsten in der Bevölkerung», sagte der Historiker (Zitat im Blick vom 10.12.2009 - http://www.blick.ch/news/schweiz/politik/muss-kreis-jetzt-den-hut-nehmen-135373 ).
Kreis' Aussage stiess auf heftige Reaktionen von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli und FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Die beiden Politiker haben aber offensichtlich zu wenig Kenntnis über die Zustände in der Schweiz der 30er-Jahre. Begriffe wie «Verjudungsgefahr» waren damals ziemlich normal und wurden sogar von einigen jüdischen Leadern, wie Saly Mayer, verinnerlicht. Diese bezeichneten bestimmte Juden als «Schädlinge» und «negative Elemente».
Die damalige antijüdische Grundstimmung bedeutete aber nicht zwingend eine automatische Identifizierung mit NS-Deutschland. Für viele Schweizer Judeophobe gingen die Nazis mit ihrer Judenverfolgung viel zu weit, und einige schweizerische Judenhasser plädierten sogar für eine humanere Asylpolitik gegenüber jüdischen Menschen. Selbst die bekannte "Flüchtlingsmutter" Gertrud Kurz liess sich übrigens zu eindeutig judeophoben Äusserungen hinreissen.
Der Judenhass war damals also sehr verbreitet, und dies vor allem in ländlichen Gegenden, wo Juden kaum präsent waren. Ähnliches ist heute bezüglich Islamophobie zu beobachten.
Professor Kreis machte eigentlich nicht den Vorwurf, die meisten Schweizer hätten NS-Deutschland unterstützt, was schon rein aus der verbreiteten deutschfeindlichen Haltung und Abneigung gegen radikale Bewegungen nicht haltbar ist. Er wies aber zu Recht auf den verbreiteten Judenhass in der Schweiz hin.
Die Frage, wie damals eine antijüdische Abstimmung ausgefallen wäre, ist nicht so einfach zu beantworten. Klar ist, dass die schweizerische Grenzsperre vom August 1938 gegen jüdische Flüchtlinge und die Einführung des J-Stempels in der Eidgenossenschaft nicht auf einen effektiven öffentlichen Widerstand stiessen. Die damalige jüdische Führung trägt übrigens auch eine Mitverantwortung für dieses Versäumnis, denn sie sabotierte sogar Protestaktionen.
Die restriktive Flüchtlingspolitik, die eben die «Verjudung» der Schweiz verhindern wollte, machte eine Initiative in diesem Sinne völlig überflüssig, und eine Initiative gegen die antijüdischen Restriktionen wurde ja nicht lanciert.
Andrerseits engagierten sich verschiedene Organisationen und Privatpersonen, wie der zu wenig gewürdigte damalige SPS-Präsident und spätere Bundesrichter Werner Stocker (Sohn eines christkatholischen Pfarrers und trotzdem frei von antijüdischen Ressentiments), bei selbstlosen grossartigen und zum Teil auch illegalen Rettungsaktionen zugunsten verfolgter Juden.
Es ist durchaus denkbar, dass wenn die Schweizer Öffentlichkeit damals besser über die Verfolgungen informiert gewesen wäre, diese sich mit den Flüchtlingen mehr solidarisiert hätte. Ähnlich verhält es sich heute mit dem Islam: Wären mehr SchweizerInnen über den Islam und Muslime unterrichtet, so hätten sie weniger unbegründete Ängste.


Shraga Elam, Israelischer Journalist in Zürich, betreibt u.a. historische Forschungen zur Schweiz in der Nazi-Zeit und berichtet für das israelische Staatsradio derzeit besonders zur Anti-Minarett-Initiative.


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* Professor Georg Kreis griff mich 2004 persönlich und unsachlich wegen meiner Recherche über Paul Grüningers Nazi-Sympathien an.

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3 comments:

  1. Lieber Shraga Elam,


    es ist schön, wenn man auf den je anderen Seiten der Barrikaden anzutreffen ist. Das kommt auch bei mir vor.


    Es freut mich, dass Sie mir in dieser Sache Sukkurs geben. Der Vergleich, an dem ich grundsätzlich festhalte, war für eine solche Debatte leider eine Stufe zu kompliziert. Mörgeli hörten gar nicht richtig zu, sondern verfielen sogleich in grösste Empörung, als ob ich je gesagt hätte, die SVP hätte, wenn es sie gegeben hätte, eine solche antisemitische Initiative lanciert. Habe ich nicht gesagt, wäre aber, wenn man den heutigen Zustand der SVP-Mehrheit anschaut, möglich gewesen.


    Mir ging es darum zu sagen, dass eine Initiative eine latente und in Ansätzen gegebene Stimmung anheizen kann. Wir sind uns einig über die Einschätzung der antijüdischen Stimmung den Schweiz in den 1930er Jahre. Die Mörgelis setzten sich mit dieser Stimmung gar nicht auseinander (selbst wenn sie sie kennen würden), für sich ist wichtig, dass am Schluss der Befund rauskommet, dass die Schweiz nicht in der Nähe der Nazi zu stehen kommt. Das ist billig. Pikant an den damaligen Verhältnissen war: Der Schweiz ging es tatsächlich um die nationale kollektive Eigenständigkeit gegenüber dem Reich. Und manche waren nur darum nicht noch antisemitischer, weil sie eben als Kollektiv nicht in der Nähe der Nazi sein wollten. Ihr helvetischer Nationalismus hat sie und die armen Juden vor noch mehr Antisemitismus bewahrt.


    Und dies war allein schon ein Grund, warum keine grössere Kraft eine antijüdische Initiative lancierte. Doch, wie gesagt, hätte jemand sie lanciert - dies war mein Punkt - hätte man plötzlich, wie jetzt bei den Muslimen, die Juden noch viel mehr als eine Problem empfunden. Initiativen können Verstärker sein.Was ich ja ebenfalls gesagt habe: Es war auch schon Problematisch, dass Wohlmeinende die angebliche Judenfrage mit diskutierten. Damit war das Gift bereits gelegt. Und heute diskutieren wir eben idiskutiert die Schweiz an vorderster Front die sog. Muslimfrage.


    Das schnell an einem Morgen im Dez. 2009 ins Unreine formuliert, aber durchaus zum Weitergeben.


    Mit freundlichem Gruss


    GK

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  2. Die SVP ist eine Partei, die für demokratische Grundwerte und Freiheit einsteht. Sie in die rechtsextreme Ecke zu stellen ist zumindest aus der Sicht eines seriösen Wissenschaftlers sachlich falsch. Ein Historiker wir Georg Kreis, der zudem Präsident der Rassismuskommission ist sollte besonders darauf achten, was er in der Öffentlichkeit sagt. Kreis ist als Präsident der Rassismuskommission längst nicht mehr tragbar.

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  3. GK: "Der Vergleich, an dem ich grundsätzlich festhalte, war für eine solche Debatte leider eine Stufe zu kompliziert."

    Fest steht, der Vergleich von GK

    a) basiert auf einer Spekulation
    b) basiert auf einer unzulässigen Vereinfachung
    c) basiert auf ungesicherten Annahmen

    Ungeachtet der berechtigten Einwände von Shraga Elam wird von GK anhand einer unzulässigen Spekulation ein Pauschalurteil über eine Generation gefällt, das weder wissenschaftlich, noch objektiv ist.

    Die Gleichsetzung der Begriffe "Verjudung" und "Islamisierung" ist weder wissenschaftlich, noch zulässig. Der erste Begriff betrifft den Angriff auf Personen, der zweite Begriff betrifft die Einführung von Gebräuchen, Sitten und Gesetzen des Islam, insbesondere der Scharia, wie (nicht nur) im Organ "Tangram" der ERK gefordert.

    Die Weigerung der Harbis und Dhimmis, die Scharia und deren Vorläufer zu übernehmen, steht in keinem Zusammenhang mit den Vorgängen in den 30er Jahren. (Die Forderung nach Einführung der Scharia, welche Harbis und Dhimmis (die Übergänge sind fliessend) als Gastgeber im eigenen Land zu Bürgern zweiter Klasse macht, muss man sich erst einmal "auf der Zunge zergehen lassen".)

    GK geht von der ungesicherten und unwahrscheinlichen Annahme aus, dass gerade diese Einführung der Scharia keine Nachteile für die Harbis und Dhimmis hätte, was der objektive Historiker kaum unterschreiben würde.

    Der Vergleich von GK ist somit unwissenschaftlich und falsch.

    Die Behauptung, der "Stammtisch-Vergleich" wäre zu kompliziert für das tumbe Volk, sagt noch mehr aus über den Autor als der Vergleich selbst.

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