Die Sache ist sehr komplex und ich finde, dass es
"DIE" Schweiz ohnehin nicht gibt. Sowenig wie es "DIE"
Juden, Christen, Muslime usw. gibt. In der Tat wurde leider nicht alles getan,
was machbar gewesen wäre, um jüdische Flüchtlinge zu retten. Die Schuldfrage
ist aber nicht pauschal und undifferenziert zu beantworten. Da beging die
Bergier-Kommission riesige Fehler und verfälschte die Geschichte.
Es gaben bedauerlicherweise genug Kräfte hierzulande, die
für die Einschränkung der Einwanderung waren, und dazu zählten Rothmund,
verschiedene Schweizer Beamte und nicht zuletzt und sehr entscheidend einige
führende jüdische Funktionäre, die Rothmund unterstützten. Ohne deren Beihilfe
hätte Rothmund anders gehandelt. Rothmund war besorgt, als Judeophobe dargestellt
zu werden, und deshalb war er froh um einige "Alibi-Juden" wie den
SIG-Präsidenten Saly Mayer, Papa Dreifuss usw. Saly Mayer
half Rothmund u.a. bei der Verhinderung des Widerstands gegenüber seiner
Flüchtlingspolitik.
Gleichzeitig gab es wenige Menschen, die wie Mayer so
viel getan hatten, um Juden zu retten. Und dabei war seine enge Zusammenarbeit
mit Rothmund sehr wichtig. D.h., dass Rothmund selber auch Vieles zur
Judenrettung beitrug!
Mayer war offensichtlich der Meinung, dass mit stiller
Lobbyarbeit viel mehr zu erreichen sei, als mit - aus seiner Sicht - hohlen
Protestaktionen. Hinzu kamen aber seine eigenen rassistischen Vorurteile
gegenüber "Ost-Juden" und seine Ängste vor der "Überjudung"
der Schweiz, die – vermeintlich – auch die Interessen der hiesigen Juden hätte
gefährden können.
Aus meiner Sicht geht es um eine sehr problematische
Position Mayers, der auch die Haltung der Mehrheit der damaligen Schweizer sehr
falsch einschätzte. Es herrschten zwar starke Vorurteile gegenüber Juden, jedoch
gingen die NS-Massnahmen gegen Juden für die Mehrheit der Schweizer zu weit.
Man kann belegen, dass sich deshalb sogar brennende Schweizer Judeophobe stark
für jüdische Flüchtlinge einsetzten.
Zur J-Stempel-Diskussion ist zu bemerken, dass, obwohl die
Initiative dazu nicht aus der Schweiz kam und sogar Rothmund dagegen war,
dieser Stempel jedoch der Schweizer Politik diente, die auf
Einreise-Einschränkung von Juden zielte. Eine solche Einreisesperre wurde ja
1938 verhängt, und damals war sie gegen die NS-Interessen. Deshalb brauchte die
SS ja gerade die Hilfe von Agenten wie Paul Grüninger,
um diese Schwierigkeit zu überwinden (Grüninger wurde übrigens von Saly Mayer
bei Rothmund denunziert).
Vieles ist also sehr widersprüchlich. Ich finde die
pauschale Verurteilung der Schweiz auch in dieser Sache fehlplatziert und viel
zu einfach. Hingegen ist eine totale Negation der dunklen Seiten ebenfalls
falsch.
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