Friday, November 9, 2012

Über eine Zürcher Veranstaltung zum Thema Zirkumzision


Die Versachlichung der Diskussion um die Knabenbeschneidung tut Not. Darüber sind sich zwar viele einig, trotzdem ist das Thema so emotional geladen und die Unkenntnisse dermassen gross, dass es offensichtlich sehr schwierig ist, über die Angelegenheit vernünftig zu debattieren. Auch die Veranstaltung der sog. Freidenker vom 6. November, welche Ausgewogenheit lediglich vorspielte, trug nur zur Vertiefung der vorgefassten Meinungen und Vorurteile und nicht zu deren Abbau bei.
Betrachtet man die Zusammensetzung des Podiums, scheint sie auf den ersten Blick ausgeglichen zu sein, denn drei Teilnehmer sind Beschneidungsbefüworter. Nur, dieser Schein trügt. Denn entscheidend für die Diskussion war das medizinische Eingangsreferat des Rütemer Kinderarztes Hannes Geiges, dessen Vortrag sehr einseitig und gespickt war mit falscher Info. Da die Medizin ja leider keine exakte Wissenschaft ist, müssen die Ansichten der Befürworter und Gegner jeglicher medizinischer Theorien unbedingt parallel präsentiert werden, vor allem wenn es um eine so heftige und beladene Angelegenheit wie die Knabenbeschneidung geht, wo der Kenntnisstand des allgemeinen Publikums doch sehr beschränkt ist und fast sämtliche medizinische Untersuchungen ideologisch auf die eine oder andere Weise beeinflusst sind. Ein medizinisch gewandter Befürworter wurde also auf dem Podium schwer vermisst, was klar den Organisatoren anzukreiden ist.
In Geiges‘ Referat wurden z.T. sonst unbestrittene Vorteile der Zirkumzision heruntergespielt bzw. ganz verschwiegen und im Gegenzug inexistente Vorteile der Vorhaut phantasiert. Das Ausmass des Eingriffs durch die Knabenbeschneidung und dessen körperlichen, sexuellen und psychologischen Auswirkungen wurden masslos übertrieben.

Da in der Diskussionsrunde keine Zirkumzisionsbefürworter mit medizinischen und psychologischen Kenntnissen sass, wirkte dieser Lager reichlich hilflos. Denn sein Argumentation, dass es sich um einen alten Brauch handelt, welcher im Islam bzw. Judentum verankert ist, vermag Atheisten zu Recht nicht zu überzeugen. Nebst vielen positiven traditionellen Handlungen gibt es ja auch recht abstossende brutale Riten, die herzlich wenig mit einem echten Glauben an Gott zu tun haben. Die Religionsfreiheit darf auch in der demokratischsten Gesellschaft nicht uneingeschränkt sein, sondern es gilt, dort, wo andere Grundrechte aufs  Gröbste verletzt werden, religiösen Handlungen einen Riegel zu schieben. Da aber die medizinische Kritik an der Knabenbeschneidung sehr weit davon entfernt ist, eindeutig erwiesen zu sein, ist die Grundlage für eine Intervention von aussen gar nicht gegeben, welche die Religionsfreiheit so schwer verletzten würde.
Die Situation ist in etwa vergleichbar mit der Debatte um das Impfen von Kleinkindern. Währenddem keine Seite restlos zu überzeugen vermag, reicht es weder für ein allgemeines Impfverbot  bzw. für eine -Pflicht. Also sollen die Eltern entscheiden, was mit ihren Kindern geschehen soll.
Es ist indes ein absolutes Muss für die Zirkumzisionsgegner, sich besser über das Thema zu informieren. So auch für den Podiumsteilnehmer Markus Theunert, den Präsidenten von ‚Männer.ch‘, welcher eine peinliche Ignoranz über die Knabenbeschneidung an den Tag legte, die in keinem Verhältnis zu seiner scharfen Position stand.
Reichlich scheinheilig war auch die überwiegende Meinung im Publikum, die Kritik an der Zirkumzision habe nichts mit Rassismus zu tun. Denn urteilt man voreilig vehement und ohne genügende Kenntnisse über Dinge, die zu einer anderen Kultur gehören, ist der Rassimus-Vorwurf nicht unbegründet. Auch die vielen plumpen xenophoben Stimmen z.B. im Internet im Zusammenhang mit dieser Debatte müssten ja bekannt sein.
Als Jude, der sich keiner religiösen Gepflogenheit verpflichtet fühlt, aber auch nicht grade pubertär hysterisch auf jede religiöse Handlung reagiert, finde ich, dass die Zirkumzision zu den vernünftigsten Akten gehört, die einen archaisch-traditionellen Hintergrund haben. Das jüdische Gebet, welches das Ritual begleitet, ist gar nicht mein Ding. Auch deshalb plädiere ich für eine allgemein zugängliche, voll professionelle säkulare Möglichkeit, diesen sehr vernünftigen kleinen Eingriff auszuführen, welcher nicht nur aus medizinisch-hygienischen Gründen sinnvoll ist, sondern meiner ästhetischen Vorstellung entspricht.
Eine weitere Entwicklung der Beschneidungsmethoden ist sehr sinnvoll und wird auch von mehreren religiösen Beschneidern begrüsst, die sich auch seit langem bereits darum bemühen.
In diese Richtung geht eine kleine und günstige israelische Erfindung, welche im Rahmen eine UNO/US Anti-Aids-Kampagne in Afrika getestet wird.


Tzamaret Fuerst, CEO of PrePex demonstrates the PrePex male circumcision device



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Ein Beschneidungswitz:
Fragt ein Christ einen Juden: »Verzeihen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber wurden Sie auch beschnitten?«
»Klar, am achten Tag nach der Geburt.«
»Und wie war das für Sie?«

»Hmmm, was soll ich Ihnen sagen... Ich konnte danach mindestens ein Jahr weder gehen noch reden.«


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Ein Nachtrag (12.11.2012):





Man braucht kein Mediziner zu sein und es ist auch keine umfangreiche Studie nötig, um zu realisieren, dass die Hygiene ohne Vorhaut besser gewährleistet ist. Dadurch werden logischerweise weniger Krankheitserreger angesammelt.
Überzeugende Untersuchungen zeigen, dass auch in den sog. industrialisierten Ländern die Penis-Hygiene sehr viel zu wünschen übrig lässt. Kaum ein Mann wäscht seinen Penis nach dem Urinieren. Und wie viele Männer waschen ihren Penis vor bzw. nach dem Geschlechtsverkehr?
Nach eingehenden Recherchen bin ich der Meinung, dass die Zirkumzision unübersehbare präventivmedizinische Vorteile mit sich bringt. Auch bei der sehr häufigen Phimose (Vorhautverengung)
 – sie mag in vielen Fällen nicht dramatisch sein – sehe ich nicht ein, warum der  Behandlung mit hormonhaltigen Crèmes, die gleich das ganze zarte Baby angreifen



und deren Effektivität gegen die Phimose überdies zweifelhaft ist, der Vorzug gegeben wird und nicht dem kleinen und sonst vorteilhaften Schnitt wie der Beschneidung (professionell gemacht, dauert diese lediglich einige Sekunden. S. hier).
Es ist auch unbestritten, dass je früher die Beschneidung erfolgt, desto kleiner der Eingriff ist.
Ich bin gar nicht gegen eine kritische Betrachtung der Knabenbeschneidung, ganz im Gegenteil, nur bin ich vehement gegen völlig falsche Schilderungen wie jene Dr. Geiges‘. Ein Beispiel: Er zitierte eine unglaubwürdige Statistik aus den USA (in welchen mehr als 50% der nichtjüdischen Bevölkerung beschnitten ist), wonach die Sterblichkeitsrate nach einer Knabenbeschneidung vermeintlich 1:50,000 betrage.
Aus jüdischen Kreisen kenne ich einen einzigen sehr bedauerlichen Todesfall. Das Baby starb an einem Herzinfarkt. Dies wäre zu vermeiden gewesen, wenn das Kleinkind richtig kontrolliert worden wäre, denn ein krankes Baby darf nicht beschnitten werden. Der Fall machte Schlagzeilen in Israel und in der jüdischen Welt, was beweist, dass solche Meldungen nicht unbedingt unterdrückt werden wie die Gegner oft behaupten.

Für religiöse Juden ist die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt ungemein wichtig. Bevor man sie zur Aufgabe dieses Ritus‘ zwingt, müssen absolut überzeugende Beweise vorliegen, wie z.B. im Fall der Schächtung (ich befürworte das Verbot, wenn Tiere in der jetzigen tierquälerischen Form geschlachtet werden).
Wahrscheinlich hatte Sigmund Freud recht, als er bei nichtbeschnittenen Personen eine Verbindung zwischen Kastrationsängsten, Zirkumzision und rassistischen Vorstellungen vermutete.
Ich verstehe die Ängste und solche haben jeweils auch die Eltern des Knaben. Ein Freund machte eine ausführliche Recherche bis er einen absolut zuverlässigen Beschneider fand. 




5 comments:

  1. Die medizinischen Vorteile der Beschneidung sind leider so klein, dass sie allein den Eingriff keinesfalls rechtfertigen, schon gar nicht bei Säuglingen und Kindern.

    Nehmen wir HIV als Beispiel: Die Euphorie für den Eingriff bei jungen Erwachsenen, der bei einem Teil der WHO-Zuständigen ausbrach, basiert im Wesentlichen auf drei Studien aus Afrika, die alle auf ähnliche Art durchgeführt wurden:

    Junge Männer, die für die Studienteilnahme bezahlt wurden, wurden in eine von zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Hälfte wurde beschnitten, die andere nicht. Im Anschluss hat man in verschiedenen Zeitabständen gemessen, wie viele Personen von jeder Gruppe sich mit HIV infiziert hatte.

    Bei der bekanntesten Studie, derjenigen aus Kenia, waren von den 1391 beschnittenen Versuchsteilnehmern nach 24 Monaten 22 HIV-positiv. Bei den 1393 unbeschnittenen waren es nach derselben Zeitdauer 47.

    Vergleicht man nur die Zahl der HIV-Fälle, wirkt der Unterschied markant. Stellt man die Zahl aber in Relation zur Gruppengrösse, wird augenscheinlich, dass der Eingriff deswegen nicht zu rechtfertigen war: Man hat 1369 junge Männer beschnitten, ohne dass sie einen medizinischen Vorteil davon gehabt hätten. (Eine solche Versuchsanordnung wäre übrigens in Europa mit Sicherheit von keinem Ethikkomitee abgesegnet worden.)

    Und selbstredend gilt bei HIV: Nur das Kondom schützt einigermassen verlässlich, egal ob darin ein beschnittener oder ein unbeschnittener Penis verpackt ist.

    Wer für die Beschneidung eintreten will, tut gut daran, nicht medizinisch zu argumentieren, auf diesem Feld hat die Gegenseite tatsächlich die deutlich besseren Argumente.

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  2. Die HIV Studie ist eine Lüge. Und die begann damit, dass die Studie anfing nach der Beschneidung. Und wer hat bitte mit einer klaffenden Wunde am Penis Sex? Klar beugt es HIV vor. Und zwar in der Form, dass man keinen sex haben kann nach der Beschneidung. Was hier getrieben wird ist gegen jedes Form von Rechten am Menschen. Holt endlich die Kinder aus den Fängen der Religion.

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  3. Ich bin voll mit Ihnen Hr. Shraga Elam einverstanden: "Eine Versachlichunge der Diskussion tut not". Strebt man das an, dann genügt aber nicht, wenn man festhält dass das Eingangsreferat von Geiges "gespickt war mit falscher Info", dann müssen diese "falschen Infos" konkret benannt werden.
    Sie haben richtig erkannt: Durch meine 35jähriger Praxistätigkeit bin ich vom Zirkumzisionbefürworter (ich habe als Assistent in der Dermatologie mehrfach selbst Zirkuzisionen durchgeführt) zum Gegner derselben geworden. Es gibt nur die eine sehr sehr seltene Krankheit des Lichen sclerosus, welche eine Zirkumzision verlangt. Alle andern Probleme mit der Vorhaut lassen sich anders, vorhautschonend und komplikationslos lösen. Von Cortison im Babyalter war übrigens nie die Rede.
    Ich habe mich in meinem Vortrag bewusst auf den medizinischen Aspekt der Beschneidung beschränkt. Über die religiöse- und kulturelle Zirkumzision habe ich bewusst meine Meinung nicht geäussert.
    Das gleiche gilt übrigens wie sie auch festhielten fürs Impfen. Mit idiologische begründeten Impfgegnern diskutiere ich nicht, wohl aber mit sochen, die mir beweisen wollen, dass die Imfpungen medizinisch mehr Schaden als Nutzen anrichten.
    Auch zum Thema ob die Eltern über den Körper ihrer Kinder vollumfänglich befinden dürfen habe ich meine Meinung nicht geäussert. Dazu wurde weltweit im Zusammenhang mit der weiblichen Beschneidung genügend diskutiert.
    Zum Vorwurf ich hätte die Komplikationen masslos übertrieben, empfehle ich allen Lesern im Internet nachzulesen unter:
    http://flexikon.doccheck.com/de/Komplikationen_der_Zirkumzision#H.C3.A4ufigkeit
    Was meine "Phantasie" der "inexistente Vorteile der Vorhaut" betrifft, gestatten sie mir, dass ich das nicht von jemandem, der seit dem Babyalter beschnittenen ist bestätigen lassen muss, sondern von den Erfahrungen, welche mir Männer mitteilten, die sich im Erwachsenenalter beschneiden liessen.
    Zum Schluss sei Ihnen doch auch noch die Frage gestellt, welche mir bis heute noch von keinem Jude und keinem Moslem beantwortet werden konnte: "Warum hat Gott die Vorhaut geschaffen oder wie begründen sie einem Atheisten warum während der Evolution der Menschheit die Vorhaut nicht auf natürliche Art und Weise verschwand"?
    Hannes Geiges, Kinder- und Jugendarzt mit Label

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  4. Wenn man einen medizinischen Vorteil von Beschneidung allen Ernstes erwägt, zeigt das nur, daß man vom Mechanismus der Evolution keinen blassen Schimmer hat.

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  5. Komischerweise werden die Nachteile der Zirkumzision meist von Atheisten oder Christen ausgesprochen und die Religion "der anderen" oftmals auf eine niedrigere Stufe gestellt. Mit welchem Recht, frage ich mich?

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