Tuesday, September 25, 2012

Half Hafez Assad Israel, die Golanhöhen zu erobern und den Junikrieg zu gewinnen?


Viele Anhänger Bashar Assads wollen im syrischen Schlächter und seiner Clique grosse Anti-Imperialisten sehen. Sie verschliessen deshalb ihre Augen vor den grausamen Verbrechen dieses Regimes. Wie lächerlich ihr Glaube ist, demonstriert schon die zweifelhafte Rolle seines Vaters im Junikrieg von 1967 (bekannt auch als Sechstage-Krieg).

Manchmal können sogar einfache Soldaten Erkenntnisse gewinnen, die grosse Experten gerne übersehen. Als solcher israelischer Frontsoldat war ich bei Kriegsausbruch, am 5. Juni im Wald auf einem Hügel unweit der Golanhöhen stationiert. Mit Ausnahme eines tieffliegenden syrischen Kampfflugzeugs, das ein anderes viel wichtigeres Ziel hatte, gab es bei uns an diesem Tag keine militärischen Ereignisse. Gegen Abend wurde unsere Division Richtung Westbank abkommandiert. Diese grosse Truppenverlegung ist zwar bekannt und auch dokumentiert, indes wird nicht erklärt, wie es dazu kam, dass das israelische Oberkommando die hellseherische Fähigkeit besass, um mit Sicherheit zu wissen, dass die syrische Armee nicht wirklich an den Geschehnissen teilnehmen würde. Die syrische Front wurde, abgesehen von eher symbolischen israelischen Truppen, praktisch ohne nennenswerte Abwehr exponiert. Hätte die syrische Armee angegriffen, so wäre die israelische Lage plötzlich äusserst prekär geworden. Kann es sein, dass die israelische Führung ein solch hohes Risiko auf sich nahm?
Es darf nicht vergessen werden, dass die Krise, die zum Krieg führte, wegen einer Spannung zwischen Israel und Syrien ausbrach. Der sowjetische Geheimdienst bekam eine falsche Information, nämlich, dass die israelische Armee angeblich Truppen an der syrischen Grenze konzentriere und vermeintlich einen Angriff plane. Um diese irrtümlich angenommene Gefahr abzuwenden und den Druck auf Syrien zu reduzieren, beschloss der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser zu Hilfe zu eilen, vertrieb deshalb die UNO-Truppen von der Halbinsel Sinai und stationierte seine Truppen dort. Dieser klare Verstoss gegen das Abkommen von 1957 benutzte die israelische Militärführung als Ausrede für einen Krieg, dies, obwohl – oder besser gesagt gerade weil – sie  Bescheid wusste, wie desolat der Zustand der ägyptischen Armee war und dass diese Israel nicht gefährde:  Also dass die scharfe verbale Drohgebärde Nassers absolut keine Deckung und die diplomatischen Bemühungen, die Krise zu entschärfen, eine sehr gute Chance hatten.
 
Es stellen sich die Fragen,

1.   wieso nur Jordanien zu Hilfe kam und ausgerechnet Syrien praktisch neutral blieb, als Ägypten am 5. Juni durch den israelischen Angriff in eine bedrohliche Lage geriet, und

2.   wie die israelischen Befehlshaber davon erfuhren, dass die syrische Armee nicht in die Offensive gehen und das exponierte Nordisrael nicht attackieren würde.

Auf diese Fragen wussten mir vor einiger Zeit weder der hohe Militärnachrichtendienstler, General a.D. Shlomo Gazit, noch mein Divisonär, General a.D. Elad Peled, Auskunft zu geben.

Sie hatten auch keine Antworten auf nicht weniger brisante Fragen zu den folgenden Sachverhalten: General Peled erzählte sowohl mir, als auch in einer Sendung des israelischen Staatsradios, dass der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan die Golanhöhen zuerst nicht erobern wollte, da er mit einem zu grossen Widerstand gerechnet habe. Am 8. Juni gegen Mitternacht, nachdem die Westbank und Sinai ganz von Israel besetzt worden waren, habe  Peled einen Anruf des Oberkommandos erhalten. Man sagte ihm, alles sei ruhig und er könne schlafen gehen. Gegen fünf Uhr in der Früh, so Peled, habe es aber plötzlich geheissen, er solle die Division an die syrische Grenze verlegen, da doch ein Angriff stattfände. Peled dazu: «Dayan erfuhr von einem syrischen Befehl, alle Truppen von der Front zurückzuziehen. Und deshalb beschloss Dayan eigenmächtig, die Golanhöhen zu erobern.»
Tatsächlich waren in der syrischen Befestigungsanlage oberhalb von uns keine gegnerischen Soldaten zu bemerken, als wir am 9. Juni über den Kibbutz Gonen im zentralen Abschnitt die Golanhöhen auf einem Ziegenpfad zu Fuss erklommen. Hätte uns auch nur ein einziger Syrer mit Steinen beworfen, wären wir nicht hinauf gelangt. Es versteht sich, dass, obwohl gegen zehn Uhr morgens unsere Kolonne von weitem ja gut zu sehen war, auf uns kein Schuss abgegeben wurde. Und als wir kampflos die syrische Position "eroberten", waren dort keine Leichen zu finden.
General Peled bestätigte meine persönliche Erinnerung und das, was ich auch in der Literatur lesen konnte, nämlich, dass mit Ausnahme einzelner Orte auf den Golanhöhen, es praktisch keine syrische Gegenwehr gab. Dort, wo die Syrer Widerstand leisteten, waren unsere Truppen mit grossen Schwierigkeiten konfrontiert.

Insofern stellen sich ähnliche Fragen wie oben:

1.   Warum zog sich die syrische Armee schon so früh kampflos zurück und

2.   wie konnte dies Dayan wissen?

Auf diese Fragen konnten oder wollten die zwei sehr gut informierten israelischen Generäle, wie erwähnt, nicht antworten. In syrischen Kreisen kursieren zwar seit langem Gerüchte über einen Rückzugsbefehl. Dieser soll aber erst am nächsten Tag, also am 10. Juni ausgesprochen worden sein, als wir schon auf den Golanhöhen waren.

Die Möglichkeit, dass Dayan durch Abzapfen des syrischen Kommunikationssystems über deren Pläne erfuhr, kann man praktisch ausschliessen, da eine Schilderung einer solchen nachrichtendienstlichen Operation zu diesem Zeitpunkt (Es ist bekannt, dass ein früherer Versuch der Israelis scheiterte) in der Literatur nicht erwähnt wird. Eine solche Aktion negiert auch der damalige Chef der Forschungsabteilung des Militärnachrichtendienstes, Shlomo Gazit.

Es bleiben ohnehin die Fragen offen, wie es dazu kam, dass die syrische Armee nicht Ägypten bzw. Jordanien zu Hilfe kam und sich dazu auch noch frühzeitig praktisch widerstandslos und ziemlich chaotisch zurückzog.

Hafez Assad, Bashars Vater, war damals "nur" Verteidigungsminister, aber er hatte alle Fäden in der Hand und galt als der tatsächliche Herrscher Syriens. Es ist völlig ausgeschlossen, dass er diese wichtige Entscheidung nicht traf bzw. bewilligte. Hinzu kommt, dass man nicht ausschliessen kann, dass er einen direkten Draht zu Dayan hatte und beschloss, alles zu tun, um seine Armee weitgehend zu schonen, nachdem bereits am ersten Kriegstag sein persönlicher Stolz, die syrische Luftwaffe, durch die Israelis völlig zerstört wurde.

Also ist es durchaus denkbar, dass Assad bereit war, die Golanhöhen zu opfern, um seine Machtposition, die auf einer  intakten Armee beruhte, zu retten, und dass er entsprechend Dayan zweimal informiert und mit ihm auch eine Abmachung getroffen haben könnte, welche auch die Eroberung des Sinai und der West Bank ermöglichte oder zumindest erleichterte.

Die israelische Geschichtsschreibung hat diese eigentlich unvermeidlichen und zwingenden Fragen und Sachverhalte bislang nicht behandelt. Offensichtlich, weil u.a. dadurch die Gefahr besteht, dass die Leistungen der eigenen Armee –richtigerweise! – entmythologisiert und geschmälert sowie auch spezielle Beziehungen zu Assad offengelegt werden könnten.

Diese berechtigte und begründete Theorie bzw. offenen Fragen lasten eindeutig auch auf dem heutigen Assad-Regime und erschweren es erheblich, in diesem eine grosse anti-imperialistische Tradition zu erkennen... 




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S.a.:  Eine Exekution, die mich quält
Neue Luzerner Zeitung, 6. Juni 2001

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