Wednesday, June 28, 2017

Posse um eine Arte-Doku




«Welcher recht hat, weiß ich nicht -
Doch es will mich schier bedünken,
Daß der Rabbi und der Mönch,
Daß sie alle beide stinken

Heinrich Heine, Disputation (Romanzero)




Im Moment wird in den Medien eine Farce gegeben, die ziemlich typisch ist, wenn es um Judeophobie (fälschlicherweise Antisemitismus genannt[i]) vs. Judeophilie geht. Die „Pro“-Israel-Lobby wirft den TV-Sendern Arte und WDR zu Recht „doppelte Standards, Dämonisierung und Delegitimierung (3D)“ vor. Eigentlich geht es aber um Disziplinen, die diese Lobby seit Jahren praktiziert und fast zur Perfektion brachte. Lustig ist u.a. auch, dass der jetzige Erfinder des Ausdrucks „3D“ niemand anders als Prof. Michael Wollfsohn ist, ein früherer israelischer Friedensaktivist, welcher den Begriff "die Auschwitz-Keule" prägte. Aus dem Jiddischen entlehnt spricht man im modernen Hebräisch vom „Schrei des beraubten Kosaken“ (The cry of the robbed Cossack), vom Räuber also, der sich empört, selber Opfer eines Räubers geworden zu sein.


Wortreich wird oft um den Brei palavert, wobei beide Seiten häufig eine unglaubliche Arroganz, wenig Kenntnisse und eine unprofessionelle Haltung an den Tag legen. So weiss in einem Gespräch mit der Bild-Zeitung der Film-Autor Joachim Schröder nicht zwischen Antizionismus und Antisemitismus zu unterscheiden. Diese Einstellung prägt auch seine „TV-Doku“.


Tatsächlich ist unter Antizionismus keine einheitliche Ideologie bzw. Haltung zu verstehen. Dabei gibt es tatsächlich auch antizionistische Menschen, die „Juden mehr hassen, als unbedingt nötig wäre“ J, ganz nach dem sarkastischen Spruch des britisch-jüdischen Philosophen Isaiah Berlin: «Antisemit ist jemand, der Juden mehr hasst, als unbedingt nötig wäre.» Man kann ihn erweitern und feststellen: «Wer Israel mehr hasst, als gerade nötig wäre, ist ein Rassist.» Dies gilt übrigens auch für die Judeophilen in umgekehrter Form: «Judeophil ist jemand, der Juden mehr liebt, als unbedingt nötig wäre.»

Unter Juden hat es immer grossen Widerstand gegenüber dem Zionismus gegeben. Der Zionismus-Vordenker Theodor Herzl genierte sich nicht, typische antijüdische Bilder zu benutzen, um die antizionistischen Juden zu diffamieren[ii]. Hauptströmungen des Zionismus sahen das jüdische Dasein in der Diaspora als eine Art Krankheit an, deren Heilung vermeintlich nur in Eretz Israel zu finden sei. Ein zentraler Begriff des Zionismus hiess folglich Negation der Diaspora und enthielt wie gesagt eindeutige judeophobe Elemente.

Es überrascht nicht, dass viele Juden damit nicht einverstanden waren und sind. Nach der Gründung Israels gab es nicht wenige, die sich von diesem Staat bedroht sahen. Entsprechend kursierten damals Witze: «1948 sagt eine jüdische Frau besorgt zu ihren Mann: ‚Oy wey Moische, hast Du gehört, dass sie den Staat Israel deklariert haben?!‘ Darauf ihr Mann: ‚Mach Dir doch keine Sorgen Suraleh, wir haben so viele schlimme Sachen überlebt, sogar den Hitler. Wir werden auch Israel überleben.‘»



Zunehmend gibt es jüdische Menschen, die Israels Anspruch, alle Juden zu vertreten, als eine Frechheit und eine Art Kolonialismus betrachten. Es gibt auch viele Israelis, die den starken antiarabischen Rassismus im Lande sowie die zahlreichen erwiesenen Menschenrechtsverletzungen heftig kritisieren, und viele können sich nicht mit dem Staat identifizieren. Sogar mehrere 1948/49-Kriegsveteranen empörten sich öffentlich, sie hätten weder für einen solchen Staat gekämpft, noch sich je einen solchen erträumt.


Die pauschale Dämonisierung des Antizionismus wird in der Dokumentation «Auserwählt und ausgegrenzt. Der Hass auf Juden und Europa» krass demonstriert. In den 90 Minuten gab es keine Sekunde Zeit für die obige wichtige Debatte.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 6. Juni 2017 sagte
Joachim Schröder wörtlich:

«…weil wir haben schon im ersten Exposé oder auch in dem Exposé, was abgesegnet wurde, geschrieben, dass wir uns im Wesentlichen auf Antizionismus, auf die moderne Form des Antisemitismus, der sich heute antizionistisch ausdrückt, kaprizieren und dass wir den untersuchen.»



Eine sachliche und ausgewogene Untersuchung von Antizionismus bzw. Judeophie ist Schroeders Film bestimmt nicht.



Auch Israeli, die das System kritisieren bzw. negieren, bieten aus lauter Verzweiflung und z.T. aus Unkenntnis unnötigerweise Angriffsflächen. Bei diesen Israel-Kritikern kann man Übertreibungen, Einseitigkeit und faktisch falsche Berichte also ebenso finden (Nobody is perfect. Who wants to be perfect).

Der bekannte linke israelische Schriftsteller Sami Michael entblödete sich beispielsweise am
25. Juni 2012 unter tosendem (auch virtuellem) Applaus nicht, zu behaupten, dass Israel der rassistischste Staat der „industrialisierten“ Welt sei. Es ist sicher nicht anzunehmen, dass Sami Michael eine vergleichende Studie anstellte. Der Rassismus in Israel ist zwar schlimm genug. Ob er allerdings schlimmer als in Europa ist? In der Schweiz zum Beispiel ist der Bau von Minaretten verboten. Nicht mal im israelischen Parlament brächte man ein solches Ansinnen für ein solches Gesetz aufs Tapet! Und in der sog. industrialisierten Welt sind die oftmals rassistischen Reaktionen auf Terrornaschläge jeweils viel heftiger als in Israel.

Das schlechte Krisenmanagement des WDR ist mehrheitlich Nährstoff für die Gegenseite. Es ist nicht nur unverständlich, warum der Auftrag an Filmemacher erteilt wurde, deren pointierte politische Haltung bekannt ist. Ein ähnlicher Film wurde ja schon 2013 im Ersten Fernsehen und, wenn ich mich nicht täusche, letztes Jahr erneut ausgestrahlt: «Antisemitismus heute - wie judenfeindlich ist Deutschland? -Die Story im Ersten.». Auch diese Doku wurde von Schröders Firma "Preview Production" produziert, was den Sendern Arte und WDR bekannt war.
Auch ist nicht klar, warum in die Maischbacher-Runde keine kompetenteren Experten eingeladen wurden, um Ahmad Mansour und Michael Wolffsohn Paroli zu bieten. Es wäre bestimmt nicht schwierig gewesen, z.B. Prof. Moshe Zimmermann bzw. Moshe Zuckermann oder andere, besser informierte Vertreter mit nichtrassistischer antizionistischer Position zu finden.
Der so genannte Faktencheck des WDR war völlig unprofessionell und entkräftete damit die an sich berechtigte Kritik von WDR und Arte an Schröder & Co. gerade wieder, die von den beiden TV-Sendern beauftragten Filmemacher hätten fachlich nicht sauber gearbeitet. Es ist nicht verständlich, warum vom WDR verharmlosend i.S. Mahmoud Abbas‘ EU-Rede argumentiert wurde (übrigens auch von Patrick Bahners von der FAZ, der hier eine Dämonisierung Abbas‘ sehen will). Der Palästinensische Präsident warf zwar Juden nicht wortwörtlich Brunnenvergiftung vor, sinngemäss aber schon.
Bei den Äusserung von Abbas handelt es sich übrigens nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Er lobte beispielsweise am 4. Januar 2013 in einer Rede das geistige Erbe des nazistischen Grossmuftis von Jerusalem, Hajj Muhammad Amin Al-Husseini. Abbas sagte:
«We must remember the pioneers, the Grand Mufti of Palestine, Hajj Muhammad Amin Al-Husseini, as well as Ahmad Al-Shukeiri, the founder of the PLO, …»[iii]


Und auch in Abbas’ Doktorarbeit gibt es offensichtlich eine sehr problematische Passage:

«In seiner wissenschaftlichen Arbeit stellt der französische Professor Robert Faurisson [ein bekannter Holocaustleugner] in Frage, dass es Gaskammern gab, die zur Tötung lebender Juden dienten“, schrieb Abbas. „Er behauptet, dass die Gaskammern nur verwendet wurden, um Leichen zu verbrennen, aus Sorge, dass sich Seuchen und Viren verbreiten könnten. Es wäre gar nicht so schwer, diese Seite der Wahrheit zu belegen und nachzuweisen[iv]



Ebenso verstärkt der WDR seine Glaubwürdigkeit nicht, indem zu einer nachfolgenden öffentlichen Debatte am 22.6.2017 nur ein einziger Verteidiger des Films eingeladen wurde  und dieser gegen fünf Protagonisten zu kämpfen hatte: Der Journalist Marc Neugröschel wirkte für die unvoreingenommenen Zuschauer trotzdem überzeugender und erweckte sogar gewisse Sympathien. Dies schreibe ich als eine Art fairer Schiedsrichter, der Neugröschels Haltung absolut nicht teilt.



Denn auch er verschweigt beispielsweise die grausame Zensur, die seine Freunde von der „Pro“-Israel-Lobby ausüben, die aber zur Zeit in der Zensur-Opferrolle posieren. Von ihren  Zensurmassnahmen kann ich ein Lied singen. Es gibt zwei Zensur-Arten zu beobachten:



  • die direkte Intervention der „Pro“-Israel Lobby

  • die sog. Schere im Kopf bei den Medien, die von ihnen in vorauseilendem Gehorsam präventiv angesetzt wird.


Einige Beispiele aus meinen persönlichen Erfahrungen:



  • 2006 verleumdete mich der ehemalige Schweizer Präsident der Anti Defamation-Kommission des B'nai B'rith, Roman Rosenstein, öffentlich. Ausserhalb des Gerichtssaals erzählte er mir in Anwesenheit meines Anwalts, er habe sich bei einem lokalen Zürcher TV-Sender eingesetzt, man solle mich künftig nicht mehr zu Gesprächen einladen, was dann auch geschah.
  • Zwei grosse schweizerische Zeitungen beschäftigten einen Mossad-Informanten, der mir dies sogar persönlich freimütig erzählte. Auf meine Proteste wollten die betroffenen Chefredaktoren nicht eingehen, dies, obwohl ich für sie und z.T. mit ihnen arbeitete.
  • 2008 wurde seitens der ehemaligen Zeitung „Der Sonntag“ ein Artikel von mir zum Thema 60. Jahre Israel bestellt. Am Freitagmorgen vor der Veröffentlichung teilte mir die zuständige Redaktorin ihre Begeisterung über meinen Text mit. Am Nachmittag dann hiess es plötzlich, mein Beitrag werde nicht in der Wochenzeitung erscheinen. Anstelle meines Textes (s. den unveröffentlichten Artikel auf meinem Blog) fand ich am Sonntag das wohlwollende Interview mit dem israelischen Botschafter sowie den Kommentar eines engagierten „Pro“-Israel-PR-Mannes.
  • Für das Nachrichtenmagazin Stern recherchierte ich 1998/99, zum Teil mit Stern-Redaktoren, über einen israelischen Waffenhändler, der in einer gemeinsamen britisch-israelischen Nachrichtendienst-Operation Technologie und Chemikalien zur Herstellung von chemischen Waffen an den Iran verkaufte. Obwohl meine Untersuchung in Grossbritannien und Israel Schlagzeilen machte (s. z. B. den Artikel im The Guardian), veröffentlichte der Stern darüber nichts.
  • Auch meine gute belegte Publikation in Haaretz über den schweren NS-Verbrecher Walther Rauff nahm man in Deutschland kaum wahr, und wenn, in verharmlosender bzw. ableugnender Weise. Rauff stand im Dienst eines israelischen Geheimdienstes welcher ihn schütze und ihm zur Flucht nach Südamerika verhalf.


Nur wirklich sachliche und ehrliche Berichterstattungen und Debatten – auch kontradiktorisch geführte – sind gefragt.








[i] Der korrekte passende Begriff Judeophobie wurde von Altzionist Leo Pinsker geprägt, und es ist schleierhaft, warum sich ausgerechnet die rassistische Bezeichnung Antisemitismus des NS-Vordenkers Wilhelm Marr einbürgerte.

[ii] S. Theodor Herzls Aufsatz, Mauschel, der im offiziellen zionistischen Organ Die Welt am 15. Oktober 1897 er­schien.

[iii] Dies gemäss Übersetzung des Middle East Media Research Institute (MEMRI). Da die Quelle nicht immer zuverlässig ist, wurde diese Übersetzung kontrolliert.

[iv] Mir ist nicht bekannt, dass Abbas von diesem Zitat sich distanzierte noch behauptet, dass er falsch zitiert wurde.

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S.a : Artes unprofessioneller Umgang mit einem vermeintlichen Anti-Antisemitismus-Beitrag


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