Saturday, February 13, 2010

Gratisblatt mit Niveau


Berner Zeitung 13. Februar 2010

« I S R A E L H A Y O M »

Das Blatt «Israel Hayom» lehrt die Konkurrenz das Fürchten. Nicht nur, weil es gratis ist, sondern auch, weil es eine hohe journalistische Qualität aufweist. Israels bedrängte Bezahlzeitungen wollen das Blatt nun verbieten lassen. Ein Zwischenbericht vom Überlebenskampf der Presse.

Gratisblatt mit Niveau

«Fast Food» sagt noch nichts über die Qualität eines Gerichts aus, sondern eigentlich nur über die Dauer des Kochvorgangs. Genauso beweist das Blatt «Israel Hayom» (Israel heute), dass Gratiszeitung noch kein Synonym für mindere Qualität sein muss, wie das hierzulande angenommen wird.

Der Schreck der Etablierten

Seit dem Juli 2007 versetzt «Israel Hayom» die Herausgeber der grossen bezahlten Zeitungen im Land in Angst und Schrecken. Denn «Israel Hayom» ist ein Gratisblatt mit Niveau, das sich mit Qualitätsjournalismus profiliert. Es gewährt erfahrenen und bekannten Journalisten Arbeitsbedingungen, unter denen sie gründlich recherchieren können – was auch bei normalen Zahlzeitungen nicht mehr selbstverständlich ist. Am Beispiel von «Israel Hayom» kann man studieren, wie sich auch hierzulande der Konkurrenzkampf der Presse um Leser und Inserateeinnahmen noch verschärfen könnte, wenn die Gratiszeitungen journalistisch aufrüsten würden.

«Israel Hayom» wird nicht nur an verkehrsreichen Orten wie Bahnhöfen verteilt, es gibt auch eine Hauszustellung und natürlich die Internet-Version (englische Beschreibung: www.israelhayom.co.il/en/ ). Innerhalb von kurzer Zeit etablierte sich «Israel Hayom» so gut, dass gestandene, ohnehin in der Krise steckende Tageszeitungen wie «Yediot Achronot» und «Ma'ariv» sich dazu veranlasst sahen, dieser neuen Gefahr einen regelrechten Krieg zu erklären. Lediglich die nationale Grosszeitung «Ha'aretz» profitiert vom Neuling, der ein anderes Zielpublikum anspricht. Denn die unterbelastete Druckerei von «Ha'aretz» holt sich durch die Produktion von «Israel Hayom» Zusatzeinnahmen. Zudem gibt es eine Internetkooperation der beiden Verlagshäuser.

Auch am Weekend gratis

Dank seinem neusten Coup segelt «Israel Hayom» weiter auf Erfolgskurs: Durch die Lancierung einer grossen Wochenendausgabe drang das Blatt in den wichtigsten Bereich der israelischen Printmedien ein. Denn dort sind die grössten Werbeeinnahmen zu erzielen. Die Wochenendausgabe kommt offensichtlich sehr gut an: Nach nur zwei Monaten wurde die Auflage von 250 000 auf 350 000 Exemplare erhöht. Der Verleger Asher Baharv sagt dazu: «Der Erfolg der Wochenendausgabe überstieg unsere Erwartungen, und deshalb zogen wir den Plan, die Auflage zu erhöhen, zeitlich vor.»

Gemäss einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Umfrage bei 10 000 der 3,8 Millionen potenziellen Zeitungsleser Israels über 18 Jahren erreichte die Gratiszeitung 2009 schon 28,9 Prozent der Befragten. 2008 waren es erst 21,5 Prozent gewesen. Diese bemerkenswerte Steigerung ging auf Kosten von «Yediot Achronot», das von 36,2 auf 34 Prozent zurückging, und von «Ma'ariv», das um ein halbes Prozent auf 13,5 Prozent schrumpfte.

Publizistik oder Kampagne?

Das erfolgreiche Gratisblatt wurde vom US-amerikanischen Milliardär Sheldon Adelson lanciert, der sein Vermögen vor allem in der Immobilienbranche in Las Vegas machte. Er ist ein grosser Unterstützer von Premierminister Benyamin Netanyahu. Die Gegner von «Israel Hayom» blenden ihre eigene Schwäche aus, indem sie behaupten, «Hayom» sei hauptverantwortlich für die Wiederwahl Netanyahus, ja Adelsons Medienprojekt habe ohnehin keinen geschäftlichen, sondern nur einen politischen Sinn.

Andere Opponenten unterstellen Adelson die Absicht, die Pressefreiheit in Israel unterwandern zu wollen, indem er mit seinem Gratisangebot die Konkurrenz ausschalte. Adelson selber gibt gerne zu, dass es sein Ziel sei, die Nummer eins in Israel zu werden. Sein kommerzielles Modell bleibt undurchsichtig. Die NetanyahuGegner und selbsternannten Verteidiger der Pressefreiheit, wollen diese nun ihrerseits beschneiden, indem sie im Parlament ein Gesetz gegen «Israel Hayom» anstreben, welches rückwirkend den Besitz von israelischen Medien durch Ausländer verbieten soll. Die Gesetzesvorlage hat indes kaum eine Chance. Und auch wenn sie in Kraft träte, könnte sie «Israel Hayom» nicht stoppen, denn Adelson könnte die Zeitung auf seine israelische Frau oder die gemeinsame Tochter übertragen. Schon haben die Gegner aber eine neue Gesetzesvorlage aufgegleist, die für ein ganzes Jahr eine Gratisnationalzeitung verbieten will.

Der Zeitungskrieg

Der Zeitungskrieg wird mit harten Bandagen und direkten Angriffen geführt. «Ma'ariv» befahl mehreren Journalisten, Beiträge gegen «Israel Hayom» zu verfassen. Darin wurde kritisiert, das Gratisblatt sei nicht ausgewogen und habe praktisch keine nennenswerte Enthüllung zu verbuchen. Tatsache ist aber, dass «Israel Hayom», wiewohl mehrheitlich rechts stehend, auch Vertreter des israelischen Friedenslagers zu Wort kommen lässt.

Medienkenner halten es weder für verwerflich noch aussergewöhnlich, dass das Blatt eine klare politische Agenda verfolgt. Sie stellen vielmehr fest, dass der «Ma'ariv»-Angriff fehlgeschlagen sei und eher als Bumerang wirke, da «Ma'ariv» negative Talkbacks von ihrer Webseite gelöscht habe und sogar so weit gegangen sei, Leserreaktionen auf Artikel gegen «Israel Hayom» zu sperren.

Die andere grosse Bezahlzeitung «Yediot Achronot» ihrerseits lancierte eine Grossoffensive gegen Netanyahus Gattin Sarah, die angeblich ihre ehemalige Bedienstete schlecht behandle und ihren Mann unter der Knute habe. Nicht nur Netanyahus Anwalt, auch Medienexperten glauben, das wahre Ziel der Attacke sei die gefährliche Gratiskonkurrenz von «Israel Hayom». Jetzt erhebt Sarah Netanyahu Klage gegen «Ma'ariv» wegen übler Nachrede. Gegen «Yediot Achronot» reichte sie eine Beschwerde beim Presserat ein.

Rechercheur schlägt zurück

Der ehemalige Chefrechercheur von «Yediot» Moti Gilat, der heute für «Israel Hayom» schreibt, machte gleich seine Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber publik. Der 62-jährige renommierte Recherchierjournalist warf «Yediot» vor, seine Recherchen gegen den früheren Premier Ehud Olmert und dessen Vize Haim Ramon seien von der Zeitungsleitung abgeklemmt und er selber wegen unerwünschter Investigationen durch verschiedene Schikanen zum Abgang gezwungen worden.

«Yediot» giftete zurück, Gilat habe seinen journalistischen Zenit erreicht und nicht mehr die gleiche Leistung erbracht. Trotzdem gingen die Parteien einen aussergerichtlichen Vergleich ein, und der Journalist wurde reichlich entschädigt. All die Querelen nützen letztlich eher «Israel Hayom».

Am Publikum vorbei

Eilon Zarmon, ein Werber, der eine Wochenendkolumne für «Israel Hayom» schreibt, moniert, dass die Konkurrenz des Gratisblatts schon lange vor dessen Erscheinen nichts Richtiges unternommen habe, um den Leserschwund zu bekämpfen. Die Attacken gegen die neue Zeitung würden dieses alte Problem nicht lösen.

«Wenn die Zeitungsverleger ein offenes Ohr für das Publikum gehabt und von sich aus ein Qualitätsgratisprodukt neben ihrer normalen Zeitungen lanciert hätten, so gäbe es auf dem Markt keinen Platz für einen anderen Gratisplayer, und so hätten sie die Dominanz für zusätzliche Jahre gesichert», schreibt Zarmon.

Imperium der Arroganz

Er sieht einen offensichtlichen Grund für diese Unterlassungen: «Imperien gehen immer unter, weil sie nicht flexibel sind! Sie können die Realität nicht erkennen, denn sie glauben, dass sie sie bestimmen.» Zarmons Rat an die Zeitungen, die sich im Überlebenskampf zerfleischen: «Weder die Politik noch Angriffskriege und auch nicht die Boulevardisierung der Zeitungen werden helfen. Nur Offenheit gegenüber dem Publikum bringt sie weiter. Die Leserschaft, welche diesen Tageszeitungen den Rücken kehrte, würde gerne zu einem modernen, neuen und qualitativ hochstehenden Produkt zurückkommen.»

Eine Lehre aus dieser Entwicklung hat inzwischen «Yediot Achronot» gezogen: Versuchsweise wird die Zeitung im Raum Jerusalem seit einigen Wochen gratis verteilt. An Tankstellen bekommt man sie beim Kauf von Treibstoff umsonst. Ob darin die Lösung liegt?

Shraga Elam

Der Autor: Shraga Elam (zeitpunkt@bernerzeitung.ch) ist israelischer Journalist in Zürich.

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