Monday, November 16, 2009

Eine Antwort auf Ch. Mörgelis Kommentar „Grossmuftis und andere Nazis“

Offener Brief an Herrn Nationalrat Christoph Mörgeli

Eine Antwort auf Ihren Kommentar "Grossmuftis und andere Nazis" in der Weltwoche vom 14. Oktober 2009


Sehr geehrter Herr Mörgeli

Ihre Replik zur Stellungnahme von Saïda Keller-Messahli ist enttäuschend. Sie erinnert an den Spruch "ich nicht, er auch".
Man darf zwar die Kollaboration des Muftis von Jerusalem, Hadj Amin Al-Hussseini, mit den Nazis weder ausklammern noch verharmlosen, es gibt aber auch hier keinen Grund, alle Muslime in einen Topf zu werfen. Als von bestimmten jüdischen Organisationen sämtliche Schweizer als Nazi-Kollaborateure verunglimpft wurden, wehrten Sie sich zu Recht dagegen. Warum machen Sie nun genau den gleichen Fehler?
Nicht jeder Muslim bzw. Araber unterstützte Nazi-Deutschland und nicht alle Muslime/Araber hassen Juden.
Meine Grosseltern mütterlicherseits kamen 1913 nach Palästina. Sie hätten die Not, die durch den ersten Weltkrieg verursacht wurde, nicht überlebt, wenn die arabischen Nachbarinnen meiner Grossmutter nicht beigebracht hätten, wie sie ihre Familie mit Wildkräutern ernähren kann. In seinem Memoiren schrieb auch ein Cousin meiner Mutter, Ezra Danin, der ein führender zionistischer Geheimdienstler war, dass sich Angesicht der NS-Bedrohung bestimmte arabische Kreise mit jüdischen Milizen zusammenschlossen und gemeinsame Aktionen planten, falls Palästina von den Nazis besetzt würde. Nachdem diese Gefahr gebannt war, brachte diese Koalition aber ab und die gegensätzlichen nationalen Interessen gewannen Oberhand.
Es ist ganz klar, dass nicht alle Araber in Palästina den Mufti und seine Linie unterstützten. Pikant ist überdies, dass Husseini ausgerechnet vom jüdischen Hochkommissar Herbert Samuel ernannt wurde. Samuel sah ihn als moderaten Kandidaten bei der Wahl, um das Gleichgewicht zwischen den großen Clans und Parteien zu wahren.
Als Historiker wären Sie fähig, zuverlässigere Forschung zu betreiben, als sich auf offensichtlich schwache Quellen, wie z.B. auf den deutschen Journalisten Karl Rössel, zu stützen. Rössel löste letzthin eine heftige Diskussion in Deutschland aus, nachdem sein Beitrag über die Mufti-NS-Kollaboration angeblich zensuriert worden war.
Wie unseriös und undifferenziert Rössels Arbeit ist, zeigt schon alleine die Tatsache, dass er in einer langen Radio-Sendung in SWR2 als Quelle gegen den Mufti den Roman ‚Exodus' von Leon Uris zitierte, einer Fiktion also, welche mit der Realität peinlich wenig zu tun hat. Hinzu stützt er sich ausführlich auf eine deutsche Studie, die über einen vermeintlich konkreten deutsch-arabischen Plan berichtet, die Juden in Palästina zu vernichten. Diese Forschung ist eine Geschichtsfälschung erster Güte (s. meine Publikation darüber). Interessanterweise wurde nach dem Krieg ausgerechnet der Chef des SS-Stabes, Walter Rauff, der angeblich die Juden in Palästina vernichten sollte, vom israelischen Geheimdienst beschäftigt und geschützt.
Damit rückt ein weiteres wichtiges Terrain in den Mittelpunkt: Sie selber wiesen 1997 – auch hier zu Recht – auf die Kollaboration gewisser jüdischer Funktionäre (wie jene des Vaters der damaligen Bundesrätin Ruth Dreifuss) mit den Schweizer Behörden bei ihrer antijüdischen Flüchtlingspolitik hin. Diese Kritik gilt auch der damaligen zionistischen Führung, die in den dreissiger Jahren mit Nazi-Deutschland kollaborierte (s. das sogenannte Transfer-Abkommen von 1933, welches die Boykottbemühungen gegen NS-Deutschland bodigte) und nach dem zweiten Weltkrieg mehrere Nazi-Verbrecher, wie Rauff oder Kurt Becher (den persönlichen Beauftragten Himmlers zur Beraubung und Verfolgung der ungarischen Juden), schützte.
Es ist auch zu erwähnen, dass die zionistische Nationale Militärische Organisaton (NMO) 1941 eine Zusammenarbeit mit den Nazis anstrebte. Solche verwerflichen kollaborativen Bemühungen sind jedoch kein Grund, sämtliche Juden als Nazi-Kollaborateure darzustellen. Das Gleiche gilt aber auch für christliche Schweizer und für arabische Muslime.

Freundlich grüsst Sie

Shraga Elam

1 comment:

  1. Lieber Shraga
    Ich danke Dir sehr für diese fundierte und solidarische Botschaft! Ich befürchte, es ist vergebene Mühe bei den Mörgelis und Köppelis, denn sie haben sich ihr neues Feindbild von langer Hand gezimmert, mit dem Ziel, möglichst alle Verunsicherten hinter sich zu scharen. Genauso wie meine fundamentalistischen Glaubensgenossen. Es lebt sich halt einfacher nur in Schwarz und Weiss. Liebe Grüsse, Saida

    ReplyDelete